Der Islam und die Wirtschaft (1)
Der Mensch hat immer zu
ringen gehabt mit der Aufgabe, die Hilfsgüter der Natur
auszubeuten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In den
primitiven Jahrhunderten, so sagte Aristoteles, organisierte
sich das Leben in Gemeinschaftsform, um es Überhaupt zu
ermöglichen und, so fuhr er fort, „um gut leben zu können.“
In den vergangenen vier Jahrhunderten ist eine
„Wirtschaftswissenschaft“ aus den Vorschriften abgeleitet
worden, welche die menschlichen Beziehungen und den
Güteraustausch regeln sollten, die sich aus dieser sozialen
Organisation entwickelten. Angesichts der riesigen Ausdehnung
von Technologie und Wohlstand hat sich diese Wissenschaft in
zwei entgegengesetzte Lager gespalten. Auf der einen Seite
glaubt der „Kapitalismus“ oder „das freie Unternehmertum“,
das die Natur in der Wirtschaft ihren Lauf nehmen sollte,
wobei ein aufgeklärtes Eigeninteresse das Genie einiger Leute
dazu bringe, die Unterschiede zum Wohle aller auszugleichen.
Für diese Doktrin setzt sich der westliche Block ein. Auf der
anderen Seite vertritt der Kommunismus die Ansicht, das die
Produktionsmittel der Kontrolle eines proletarischen Staates
unterliegen müssen: der Gesellschaft wird ein gerechtes und
gleichmäßiges Teilen aller Erträge menschlicher Bemühungen
auferlegt.
Die Rivalität dieser beiden
Ideologien, die beide nach absoluter Macht streben, hängt
drohend wie ein Damoklesschwert über der Welt von heute. Wir
müssen die Marxisten fragen, ob man ihre klassenlose
Gesellschaft durch die eine Maßnahme garantieren kann, das man
nämlich die Produktionsmittel zum Gemeineigentum erklärt und
die besitzende Klasse abschafft, während es doch tatsachlich
eine Vielfalt von Klassen aus ganz anderen als ökonomischen
Ursachen gibt? Während es in den sozialistischen
Sowjetrepubliken keine bürgerliche besitzende Klasse gibt,
existieren dort gleichwohl andere Klassen, die sich durch ihre
Beschäftigung und Umwelt unterscheiden: z. B. Fabrikarbeiter,
Landwirte, Staatsbeamte, Büroangestellte, Parteifunktionäre
und zahllose andere. Werden ein Chirurg und eine
Krankenschwester gleich bezahlt? Oder ein Straßenarbeiter und
ein Ingenieur?
Unter den Menschen gibt es in
Wirklichkeit noch weitere Unterschiede - Lenins
„Wirklichkeit, nach der wir uns zu richten haben“. Die
Menschen sind verschieden nach Alter, Geschlecht, Neigungen,
Geschmack, Körperkraft, Erscheinungsbild, Denkvermögen,
Vorstellungen und Horizonten. Ein sowjetischer Wissenschaftler
schrieb kürzlich („Economics“, Bd. 2, S. 216): „Es ist
unpraktikabel, absolute Gleichheit am grünen Tisch zu
klarieren. Zahlten wir den Professoren, Denkern, Politikern
und Erfindern genau das, was die Handarbeiter erhalten, so
wäre das Endergebnis einzig die Erstickung aller Antriebe für
geistige Arbeit jeglicher Art.“
Der Kapitalismus nimmt für
sich in Anspruch, das allein durch privaten Unternehmungsgeist
und persönliches Eigentum eine Wirtschaftsordnung erzielt
werden kann, warum der Lebensstandard fortwährend steigt und
der Unterschied zwischen Reich und Arm fortwährend sinkt.
Gegen diesen Anspruch muss man den Untersuchungsbericht
stellen, den Walter Reuther, Vorsitzender der
Automobilarbeiter-Gewerkschaft in den USA, in seiner
Eigenschaft als Vorsitzender der „Amerikanischen Gesellschaft
für die Bekämpfung des Hungers“ veranstalten ließ. Dieses
Komitee bestätigte nachdrücklich, das 10 Millionen Amerikaner
an Unterernährung leiden, und ersucht den Präsidenten der
Republik in 256 Städten, die in den 20 Bundesstaaten liegen,
in denen die Gefahr am größten ist, den Notstand auszurufen.
Als Gründe für diese Unterernährung gab das Komitee die
Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges an, zusammen mit einer
Anzahl Störungen in der Binnenwirtschaft Amerikas. Der
Minister für Landwirtschaft traf strenge Maßnahmen, um alle
Nahrungsmittel, deren er habhaft werden konnte, sowohl im
Ausland zu kaufen, wie im Inland mit Beschlag zu belegen.
Wir müssen also fragen,
inwieweit irgendeinem System, gleich, was es beansprucht, der
Klassenausgleich, die Ausschaltung der Unterschiede und der
Aufbau einer gesunden und gerechten Gesellschaft gelungen ist?
Sozialistische wie kapitalistische Regime bauen ihre Systeme
auf Theorien, vor welchen man sich ohne Rücksicht auf
moralische und geistige Werte verbeugt. Beider Ziel ist, den
Wohlstand zu vermehren, weiter nichts.
Die Weltanschauung des Islam
gibt dem ganzen Menschen im Rahmen seiner Welt die Ehre. Sie
ordnet das materielle Verhalten und die materiellen
Unterstützungen der Gesellschaft und schafft zugleich Gesetze
für moralische Werte, geistliche Perfektion und einen höheren
Lebensstandard. Darunter versteht er nicht nur die
materiellen, sondern die geistigen, die geistlichen, die
moralischen, die altruistischen, die philanthropischen
Maßstäbe, welche allen Menschen ermöglichen, das jeder für
alle und alle für jeden leben.
Das Gesetz der Abendländer
unterstützt die Besitzrechte und gibt denen der Kapitalisten
Vorrang über die der Arbeiter. Das sowjetische Gesetz
existiert seinen eigenen Worten nach nur, um dem einzelnen
alle Besitzrechte zu nehmen und das Kapital als persönlichen
Besitz auszurotten; den Arbeitern also durchweg Vorrang zu
geben. Beide Systeme denken und urteilen menschlich.
Aber das Gesetz des Islam ist
auf göttliche Offenbarung gegründet. Seine Gesetzgebung ist
kein menschlicher Notbehelf. Es stellt nicht Klasse gegen
Klasse, sondern hilft jeder Gruppe, den besonderen Wert der
anderen zu respektieren. Da es vom Herrn aller Geschöpfe für
das allgemeine, Wohl und für das Wohl aller diktiert worden
ist, gestattet es keiner über andere den Herrn zu spielen,
keinem Unrecht, sich einzunisten. Ein Herrscher ist im Islam
nur ein normaler Mensch mit einem besonderen Pflichtbereich,
der selbst unter dem Gesetz steht und seine Macht nur ausübt,
damit die göttlichen Gebote in der Gesellschaft befolgt
werden. Weil die Zuversicht herrscht, das Gottes Gesetz
zuoberst steht, dauern Friede und Zufriedenheit an.
Auf der einen Seite bekämpft
der Islam die Doktrin des Kapitalismus, das die
Eigentumsrechte keiner Staatskontrolle unterworfen sind und
das es dem einzelnen „freisteht“, wenn er der Stärkere ist, in
Überhöhung der Rechte des Individuums und zum Schaden der
Rechte der Gemeinschaft als Ganzer Aggressionen und Tyranneien
gegen den Schwächeren zu begehen; auf der anderen Seite
betrachtet er die Unantastbarkeit des Eigentums als
fundamental.
Wohlstand ist der Grundstein,
auf dem die Unabhängigkeit und Freiheit innerhalb einer
sozialen Ordnung errichtet sind. Das allgemeine Wohl muss das
regulierende Prinzip sein, welches das persönliche
Verfügungsrecht über das Eigentum bestimmt. Daher bekämpft der
Islam gleichermaßen die völlige Verwerfung privater Initiative
und privaten Eigentums durch den Kommunismus, welcher dem
Staat den Prämienschlüssel anvertraut und den einzelnen auf
eine so untergeordnete Stellung hinabstuft, dass er keinen
Wert als Person an sich mehr besitzt, bloß noch ein Werkzeug
des Staates ist - ein Magen, den der Staat füllt und danach
ausbeutet, wie es ein Landwirt mit seinen Pferden und seinem
Vieh tut.
Die Kommunisten vertreten den
Standpunkt, das es von Natur kein Privateigentum gibt. Sie
behaupten, ohne den Beweis für ihre These anzutreten, das die
ersten Gemeinschaften der Menschen alles gemeinsam besaßen In
Zusammenarbeit, Liebe und Brüderlichkeit und das kein Mensch
je sagte: was er gerade habe, gehöre Ihm auch. Die menschliche
„Gemeinschaft“ habe kommunistisch in allem und jedem begonnen
und jedem zugeteilt, was er eben brauchte. Der Anspruch auf
persönliches Eigentumsrecht, verfechten sie, habe sich nur
stufenweise und langsam entwickelt, bis es zu jenen
schrecklichen Maßlosigkeiten kam, die heute in der Welt offen
zutage liegen.
Ach, ihr utopisches Goldenes
Zeitalters ist ein Wunschtraum; denn die Tatsachen zeigen, das
persönliche Eigentumsrechte nicht ein Ergebnis der Entwicklung
habsüchtiger Tendenzen in einem besonderen Milieu waren.
Eigentum ist gleichaltrig mit dem Erscheinen des Menschen auf
der Erde; es gehört zur menschlichen Natur wie alle anderen
angeborenen Triebe und kann ebenso wenig bestritten werden wie
jene. Moderne Volkswirtschaftler sagen: Der allgemeine Sinn
für Eigentum, der sich in jedem Stamm auf Erden und in jedem
Zeitraum findet, ist nur durch einen ursprünglichen Instinkt
zu erklären. Der Mensch möchte der alleinige Herr der Güter
sein, die seinen Bedürfnissen dienen, damit er sich wirklich
frei und unabhängig fühlen kann. Weiter spürt jener, das
Güter, welche ihr Dasein der harten Arbeit seiner Hände
verdanken, gewissermaßen eine Ausdehnung seiner selbst sind
und das sie daher eine ähnlich Achtung verdienen, die er für
die Unverletztheit seiner Person verlangt. Schließlich
befriedigt er den inneren Drang vorzusorgen, um seine Zukunft
und die seiner Familie zu sichern, wobei er eine Sparsamkeit
und Wirtschaftlichkeit entwickelt, die er schon als Vorsorge
gegen einen regnerischen Tag anwendet. Diesen Vorrat hütet er
eifersüchtig als „sein Eigen“. Der Reichtum der Gemeinschaft
nimmt mit dem Wachsen des Privatbesitzes und der Produktivität
zu, denn eine gesellschaftliche Einheit besteht nur durch den
Fleiß ihrer Mitglieder. Der Anreiz zu harter Arbeit liegt in
der Belohnung durch persönliches Eigentumsrecht und in
vermehrtem Behagen. Weshalb eben die Gesellschaft dem
einzelnen das Recht zugestehen muss, das, was seine Mühe
geschaffen hat, auch zu besitzen, weil das Wohlergehen der
Gesellschaft selber ein Produkt jener Mühe ist.
Der Islam, mit seiner
praktischen und realistischen Betrachtung des Menschen, wie
er ist, erkennt die Bedeutung des Dranges nach Eigentum als
einen schöpferischen Faktor für jeden sozialen Fortschritt an;
daher sichert seine Gesetzgebung ihm den Besitz an allem, was
ihm seine Hand auf anständige und gesetzliche Weise gewonnen
hat, wobei seine Produktivität als Garantie seines Rechtes
auf Eigentum betrachtet wird.
Der Islam weist die
Behauptung zurück, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt seien
unvermeidliche Folgeerscheinungen des Privatbesitzes; denn sie
treten ja nur in Erscheinung, wo die gesetzgebende Gewalt in
den Händen der Reichsten sind und von ihnen, wie in westlichen
Ländern, nur für den Schutz ihrer eigenen Interessen
eingesetzt wird. Da das Gesetz des Islam sich aber von der
höchsten übergreifenden Autorität Gottes herleitet, ist es
gänzlich unparteiisch: Es kann also kein Gesetz von Ihm
erdacht werden, welches zum Ziel hätte, die Reichen zu
beschützen oder die Armen zu benachteiligen. Von Anfang an hat
der Islam das Privateigentum anerkannt, aber immer mit der
Auflage, das Gewalt und Unterdrückung ausgeschlossen bleiben.
Der Islam vertritt die
Meinung, das es unrecht ist, die Fabriken den Händen
derjenigen zu entwinden, die sie gründeten und sie durch
geduldiges Ausharren mit Mühe und Plackerei so weit aufgebaut
haben, dass sie Arbeit für viele, Güter für die Gesamtheit und
natürlich auch Gewinn für sie selber einbringen. Denn der
Islam ist der Ansicht, das eine solche Neigung zur Gewalt, der
den initiativbegabten Menschen die Produktionsmittel wegnimmt,
der sozialen Sicherheit und der Achtung für die Rechte des
Individuums abträglich ist. Er entmutigt den Erfindungsgeist,
die Initiative und den Wagemut. Trotzdem aber kann und sollte
eine Regierung die Leitung großer Industrien und die Gründung
von Fabriken derart kontrollieren, dass für soziale
Gerechtigkeit, gerechten Lohn, soziale Leistungen und die
Einkünfte der Regierung selber gebührend Sorge getragen wird.
Zusammengefasst gibt die
Volkswirtschaft im Islam dem einzelnen und der Gemeinschaft
gleichmäßig Vorrang. Sie balanciert die Interessen und Rechte
beider aus, indem sie eine freie Wirtschaft garantiert und
dabei gleichzeitig die Freiheit jedes einzelnen Mitglieds und
den Nutzen der Gemeinschaft durch bestimmte vernünftige und
notwendige Regelungen der privaten Eigentumsrechte sichert.
Der Drang nach Eigentum wird als angeboren und darum zur
menschlichen Natur gehörig anerkannt, so das die einzigen
Schranken, die ihm auferlegt werden können, von den
übergeordneten Interessen der Gemeinschaft als Ganzern
diktiert werden, welche natürlich auch die besten Interessen
jedes einzelnen beinhalten. Der Islam betrachtet den
Besitztrieb als einen von Gott eingepflanzten Antrieb, der dem
Menschen eingibt, für die Verbesserung seines Unterhalts und
für eine Steigerung der Produktion hart zu arbeiten; aber er
reguliert das Ausleben dieses Antriebs durch Vorschriften,
welche sich möglicher Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung,
Nötigung und anderen Formen missbräuchlich verwendeter
Freiheit in den Weg stellen. Diese Einschränkungen sichern die
Interessen der Gemeinschaft, und obwohl sie dem Schalten des
einzelnen Schranken setzen, sind sie der Freiheit in keiner
Weise abträglich, weil sowohl das Gemeinschaftsleben wie die
individuellen Freiheitsrechte dem Verhalten Grenzen auferlegen
müssen, die das Überleben beider, des einzelnen wie der
Gemeinschaft, gewährleisten. Sie müssen daher Achtungen
aussprechen gegen Gewinnsucht, Veruntreuung, Horten,
Knickerigkeit, Habsucht, Wucher, gewaltsame Wegnahme des
Eigentums anderer und derartige kriminelle, gegen die
Gemeinschaft gerichteten Methoden, Kapital anzuhäufen.