Der Islam und die Wirtschaft (2)
Die Wirtschaftshistoriker
sagen uns, dass das kapitalistische System zu Anfang einfach
und wohltätig war; aber der Brauch, Geld gegen Zinsen
auszuleihen, steigerte sich Schritt für Schritt zu den
gegenwärtigen schädlichen Auswüchsen. Damit einher entwickelte
sich der Bankrott kleiner Unternehmen und ihre Verschmelzung
zu riesigen komplexen Gesellschaften und
Finanzgebilden. Der Islam etikettiert solchen Wucher als
„Sünde“ und er tut dasselbe bei ungesunder Hochkonjunktur und
plötzlichen Preisstürzen, die untrennbar vom System sind.
Die Gesetzgebung des Islam
hat die Zahlung eines „Zakat“ (Armenunterstützung) von 20% der
Kapitalgewinne der Reichen für die Unterstützung der
Bedürftigen eingeführt. Dies hilft Unterschiede auszugleichen,
extreme Unterschiede geringer werden zu lassen und eine
übermäßige Anhäufung von Reichtum kurz zu halten. Eine weitere
Regelung des Islam, mit gleichem Ziel und Ergebnis, ist das
Recht der Regierung, den Reichtum besonders zu
besteuern, da er die Auffassung vertritt, das Gott dieser Welt
seine guten Gaben zum Wohle aller gegeben hat, wie man an den
Wäldern, Riedbänken, dem Weideland, den Wüsten, Gebirgsketten,
Bodenschätzen und Bergwerken sehen kann.
Auch Grundbesitz kann
öffentliches Eigentum werden, wenn der verstorbene Eigentümer
kein Testament hinterlassen hat oder weil er als
Entschädigungszahlung dienen muss, so dass er ebenso für alle
da ist, wie Gott es für alle Dinge gemeint hat. Die
Testamentgesetze des Islam beschneiden auch ein ungebührliches
Anhäufen von Besitz in den Händen einer Familie im Laufe von
Generationen.
Die Voraussetzungen, unter
denen also der Islam seine Achtung der Rechte des
Privatbesitzes einschränkt, sind von der Notwendigkeit
diktiert: sicherzustellen, das die Privilegien eines einzelnen
niemals die Wohlfahrt der islamischen Gemeinschaft in Frage
stellen. Deswegen kann eine gerechte islamische Regierung bei
einem Notstand oder Aufruhr die Machtbefugnisse, die ihr zur
Verfügung stehen, sowohl zur Abwendung künftiger Gefahren
einsetzen wie auch die Gesellschaft so lenken, das die
muslimischen Massen keine Not leiden, wenn sie es für
angemessen hält.
Der Boden einer Nation darf
nicht Beute einer Handvoll von Eigentümern werden. Armut und
Unterernährung der Massen dürfen nicht unbeachtet bleiben.
Dies sind unverrückbare Prinzipien, die vom Islam offen und
fest, gewissenhaft und energisch verfochten werden. Der Glaube
verurteilt das schädliche Eindringen moderner kapitalistischer
Praktiken in die Welt der Muslime und ächtet die Gier und den
Geiz, die zu Versklavung, Krieg und Imperialismus führen.
Im Qur’an (Sure 59:7) heißt
es sinngemäß: “Die Anordnungen, die wir für die Verteilung
des Eigentums offenbart haben, sind zu dem Zweck erlassen,
dass das Kapital nicht nur bei den Kapitalisten unter euch
zirkulieren darf.“
Zusätzlich zu den gesetzlichen
Bestimmungen, welche die korrekte Verwendung von Geldern und
Ressourcen sicherstellen, indem sie Verstöße bestrafen, bringt
der Islam also völlig neue Motive zum Tragen, wie unser
Koranzitat zu verstehen gibt: Er richtet das Streben des
Menschen auf Gott. Er gibt seinem Verhalten auf der zu Ihm
führenden Straße Stromlinienform. Diese Straße hat auf jeder
Seite moralische Schutzwehren, die der Aspirant nicht
überschreiten möchte. Die Straße ist mit Menschenliebe,
Zuneigung, Wohltätigkeit und Selbstaufopferung gepflastert,
was bedeutet, das kein Muslim sich freiwillig zu Handlungen
hergeben wird, welche anderen Unrecht zufügen. So weigert
sich nun das Gewissen des einzelnen, übermäßig viel Kapital
anzuhäufen, und der Arbeitgeber weigert sich, Härte oder
Unterdrückung anzuwenden, um seine Arbeiter zur Arbeit zu
zwingen.
Diese erhabene
Herausforderung für den Geist, die darauf zielt, dem einzelnen
zu helfen, wie er Gott begreifen lernt und daher auch seinen
Nachbarn liebt, ist tief in sein Gewissen eingepflanzt, so
das ein Mensch seine Freuden und seinen Schatz darin findet,
wie er seinen Schöpfer wohlgefällt; dies übertrifft alle
übrigen Werte für ihn. In Wahrheit haben freilich der heutige
Verfall der Religion und das Nachlassen des Glaubens an das
Jüngste Gericht zu Habsucht, Gier, Bosheit und den vielen
Arten von Ungerechtigkeit und Unterdrückung geführt, die wir
um uns erblicken. Wenn die Beziehungen der Menschen zu Gott
nicht in Ordnung sind, dann werden auch ihre Beziehungen
untereinander nicht in Ordnung sein. Eine Revolution der
Gewissen führt zu einer Revolution in der Seele, in der
Gesellschaft und in der Welt. Dies hat uns die Geschichte in
der Praxis gelehrt, genau wie die Vorschriften der Religion.
Die gleichen Überlegungen
lassen sich auf die Ideologie des Kommunismus anwenden, und
wir werden bald sehen, dass das Wissen des Islam den
materialistischen Ausartungen in Ost und West überlegen ist.
Moderne Philosophen wie
William James, Harold Laski, John Strachey, Walter Lippmann
kritisieren beim Kommunismus, das er die Person und die
Gemeinschaft zugunsten der Allmacht des Staates abgeschafft
hat und führen aus, das Persönlichkeit und Unternehmensgeist
des einzelnen in einer solchen Umgebung ersticken.
Andererseits wird bei der kapitalistischen Demokratie die
individuelle Freiheit zum Nachteil des sozialen Fortschritts
überbetont; dann kommt es zu einer Oligarchie der Reichen,
welche sich zu Herren der Produktionsmittel aufschwingen und
alle anderen in Wirtschaftssklaven verwandeln. Von
entgegengesetzten Richtungen her gelangen sie zu derselben
Schlussfolgerung, nämlich dass die Menschen sich eine magere
Disziplin auferlegen müssen, wenn sie sich wahrer Freiheit
erfreuen wollen, so widersprüchlich das auch klingen mag, und
dass das Gedeihen der Gesellschaft davon abhängt, das ihre
Mitglieder diese Freiheit selbstverantwortlich ausüben. Was
ist ihre Schlussfolgerung anderes als die Bestätigung der
Lehre, die der Islam seit 14 Jahrhunderten predigt? Es ist an
der Zeit, das die Lehren der Geschichte, die Schlüsse der
Philosophen und die Grundsätze der Religion zu Richtlinien
für das Verhalten von Menschen und Gemeinschaften allerwärts
würden.
Im Jahre 1951 widmete die
juristische Fakultät der Universität Paris eine Woche dem
Studium des islamischen Fiqh (Kanonisches Recht). Sie luden
Fachleute aus muslimischen Ländern rund um die Welt für die
Behandlung besonderer Punkte ein z. B.:
1.
kanonisches Eigentumsrecht beim Islam,
2.
Voraussetzungen für urkundliche Eigentumsübertragungen, worin
das Wohl der Gesellschaft und der Öffentlichkeit gewahrt
werden sollen,
3.
Verantwortung des Übeltäters,
4.
gegenseitige Beeinflussung von Glauben und kanonischem Recht
im Islam.
Der Vorsitzende der
juristischen Gesellschaft in Paris leitete die Konferenz und
fasste am Ende das Ergebnis folgendermaßen zusammen: „Was
auch immer unsere früheren Vorstellungen vom Recht des Islam,
seiner Starrheit und Unzulänglichkeit beim Beurkunden von
Transaktionen gewesen sein mögen, wir sahen uns gezwungen,
sie in dieser Konferenz zu revidieren. Lassen Sie mich die
neuen Einsichten zusammenfassen - neu, wie ich denke, für die
meisten von uns, welche uns diese Konferenz, die sich in
dieser Woche besonders mit dem Fiqh, dem kanonischen Recht des
Islam, befasste, vermittelt hat. Wir sahen darin eine Tiefe
felsenfester Prinzipien und bis in Einzelheiten gehende
Sorgfalt, welche die Menschheit in ihrer Gesamtheit umfassen
und daher in der Lage sind, auf alle kritischen Situationen
und Ereignisse unserer Zeit eine Antwort zu geben. In unserem
Schlusskommuniqué sagen wir: Das kanonische Recht des Islam
sollte zu einem gestaltenden Element aller neuen
internationalen Gesetzgebung für die Bewältigung der heute
anstehenden Fragen gemacht werden, weil es einen rechtlichen
Schatz von stabiler Allgemeingültigkeit besitzt, welcher
seinen Fiqh bei dem heutigen Durcheinander religiöser
Ansichten und Verlautbarungen befähigt, es mit den dringenden
Erfordernissen aufzunehmen, welche uns die neuen Lebensformen,
die in der modernen Umwelt entstehen, auferlegt haben.“