Musawi Lari

Westliche Zivilisation und Islam

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Ins Englische übersetzt von J.F. Goulding, hiernach ins Deutsche übertragen durch R.H. Sengler

Das folgende Manuskript ist eine geringfügig überarbeitete und sprachlich verfeinerte Version der 1995 in Qum erschienenen deutschen Übersetzung.

Delmenhorst 2004

Gottesdienst

Das Eingreifen der westlichen Kirchen in kulturelle und soziale Angelegen­heiten, ihre Predigten, um die Sittlichkeit zu heben und die Herzen der Menschen wieder zu reinigen, haben trotz aller Propagandamaschinerie und weltlichen Macht wenig Wirkung gezeitigt. Es hat weder den Bankrott des Geistes aufgehalten, noch das schrankenlose Sichgehenlassen gezügelt, dem sich die Abendländer hingeben. Wie kann aber auch eine Religion, welche ihren Anhängern unbegrenzte Freiheit gewährt, überhaupt noch hoffen, sich den Krallen der Umstürzler, welche die Schmutzfinken im Griff haben, zu entwinden oder das giftige Wuchern der Sittenfäulnis auszurotten?

Gottesdienst, Frömmigkeit und wahre Menschlichkeit müssen mit dem einzigen Ziel angegangen werden, sich Gott in reiner Absicht zu nähern. Aber diese Allerweltsärzte haben den Pfad verlassen. Sie sind selbst perver­tiert.

Manche Kirchenführer, die einen festen Damm bilden sollten, um die Fluten der Fäulnis einzudämmen, sind selbst Opfer der vorherrschenden Mode geworden, alles zu erlauben. Wie kann das Christentum noch eine Wiedergeburt, eine moralische Erneuerung im Westen erreichen? Wie können derartige Institutionen der Menschheit wieder reine Herzen ein­pflanzen, ohne welche der Mensch Gott nicht erkennen kann? Und doch kann die Welt nur aus ihrer moralischen Krise wieder aufsteigen, wenn sie den Weg innerer Reinheit durch Erneuerung und Wiedergeburt beschreitet.

Die „Teheraner Wochenzeitung“ (Nr. 1089) berichtet: „Geistliche suchen die Abweichler mit Tanz und Musik in die Kirche zu locken. Reverend Francis Mieux in Toronto, Kanada, der seit 35 Jahren ordiniert, ist ein geübter Musiker, Komponist sowohl ein Priester, Verfasser von 1500 volkstümlichen Melodien, ein Priester, der die Berufe des Geistlichen und des Künstlers vereint.“

Aber solche Erzeugnisse an einer Stätte der Anbetung vorzuführen, bedeutet das nicht, sich über die Religion lustig zu machen? Zu den feierlichsten Verkündigungen aller Propheten Gottes gehört die Versicherung, das niemand Gott und dem Mammon dienen kann und das es kein Ent­rinnen gibt vor den Verunreinigungen durch Welt, Fleisch und Teufel, außer wenn man sich entschlossen und gesammelt Gott zuwendet. Wenn ein Menschenleben in gesundem Gleichgewicht verharren soll, muss regelloses Liebäugeln mit materialistischen Gedankengängen abgestreift werden, zugunsten der Suche nach einer persönlichen Gotteserkenntnis. Das ist der Fels, auf dem man das Haus seines Lebens baut. Alles andere ist Treibsand.

Echte Gottesverehrung befreit einen Menschen von der Gebundenheit aller fleischlichen Gelüste, bringt ihn vor das Antlitz Gottes und damit zu geistlichen Freuden. Man beobachte, wie diese unschätzbare Wahrheit durch das Predigen der Alleserlauber über den Vorrang der Fleischeslust ausgehöhlt worden ist.

Die islamische Gottesanbetung hat viele Ziele. Eines davon ist, den Vorhang der Nicht-Achtung und der Unwissenheit zu zerreißen und so eine machtvolle moralische und geistige Aufrüstung und grundlegende Erneue­rung einzuleiten.

Stahwood Cobb, ein christlicher Gelehrter, vergleicht in seinem Buch „Der Gott der beiden Ka’abas“ auf Seite 227 muslimische und christliche Gottesverehrung so: „Ich durfte einmal in der Moschee Hagia Sophia in Istanbul Zeuge eines Gebetsgottesdienstes sein. In solchen Gottesdiensten spielen wiederholte Verbäugungen (Ruku’) und Niederwerfen (Sudschud) als Begleitung für feststehende Formen des Gebets und der Anbetung eine große Rolle. Ich war tief beeindruckt von der Feierlichkeit, der Demut und der Ehrfurcht der Anbetenden. In ihrer Aufrichtigkeit, der Tiefe ihrer Übergabe und hingebungsvoller Selbstentäußerung vor dem göttlichen Wesen übertraf es bei weitem alles, was ich je in einer christlichen Kirche erlebt habe. Mit anderen Ausländern hatte ich das Vorrecht, die Feierlichkeiten während der Nacht der Allmacht (Lailat-ul-Qadr) zu beobachten, in welcher der Qur’an dem Propheten Mohammed offenbart wurde. Von einem Balkon in einer der Querverstrebungen der Kuppel blickten wir auf die 5000 Verehrer hinab, welche die Hagia Sophia füllten, wie sie ihre Ruku’s und Sudschuds in vollkommenen Einklang, Rhythmus und Ordnung ausführten. Das Geraschel ihrer Vorbeugungen bei den Knie- oder Fußfällen, das Klatschen ihrer Hände, die sie vor sich auf den Boden legten, ihr gemeinsames Aufrichten war wie ein tiefes, ruhiges Wogen von Verehrung, das die weite Kuppel erfüllte und gen Himmel stieg. Der Anblick war großartig, beispiellos; würdig, heilig, demütig, ehrfürchtig, und bekundete dabei einen Sinn für individuelle Freiheit, für Demokratie, für Gleichwertigkeit, die keine Bevorzugung oder Benachteiligung von Menschen oder Klassen zuließ: Ich sah einen wandernden Teppichverkäufer dicht bei einem Pascha in prächtiger Gewandung, wie sie einträchtig, ohne Gunst oder Furcht, ab­wechselnd standen, knieten, sich niederwarfen in gemeinsamer Gottes­verehrung. Beleibte dunkelhäutige Neger waren Seite an Seite mit den schicksten Türken von Istanbul mit der Befolgung ihrer religiösen Bräuche beschäftigt. Der Islam hat von Anfang an einen Glauben der Brüderlichkeit eingeschlagen und bis heute eingehalten.“

Der größte Irrturm der westlichen Religion war der, den Glauben als eine private Angelegenheit zu behandeln, der keine Beziehung zum täglichen Leben hat. Dieser missverstandene Grundsatz hat seinen Schatten über das gesamte Erscheinungsbild der westlichen Gesellschaft geworfen. Innerer Schmutz, nationale Krisen, Permissivität, Korruption sind alles Übel, die direkt der Trennung der Religion vorn praktischen Leben entstammen. Daher auch das Tauziehen zwischen inneren geistigen Werten und äußerem Existenzkampf. Ein gesunder Glaube schreibt dem Menschen einen Verhaltenskodex vor und zieht Leitlinien für ihn, welche sich aufrede prak­tische Eventualität des Lebens anwenden lassen.

Der Glaube formt Denken und Handeln. Das Leben kann der formativen Wirkung echten Glaubens nicht entgehen. Daher ist es einfach Sünde, die Religion vom praktischen Leben zu trennen. Eine derartige Trennung läuft dem Gesetz der Natur direkt zuwider. Wie Dampierre in seinem Buch „Der Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion“ schreibt: „Konstantin dekre­tierte das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches; um es aber seinen heidnischen Untertanen recht zu machen, gestattete er, viele Sitten des früheren Heidentums dem Christentum einzuverleiben.“ Das ist der Ursprung der Meinung, die im religiösen Mittelalter vorherrschte, und in modernen religionslosen Tagen immer noch vorherrscht: „Religion ist eine Privatangelegenheit, die sich allein mit der Seele des Einzelnen und mit ihrer Beziehung zu Gott beschäftigt.“

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