Musawi Lari

Westliche Zivilisation und Islam

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Ins Englische übersetzt von J.F. Goulding, hiernach ins Deutsche übertragen durch R.H. Sengler

Das folgende Manuskript ist eine geringfügig überarbeitete und sprachlich verfeinerte Version der 1995 in Qum erschienenen deutschen Übersetzung.

Delmenhorst 2004

Mangelerscheinungen und fehlende Nächstenliebe

Täglich wachsenden Überfluss und die technologische Revolution haben tiefe Spaltungen im Leben der Menschen hervorgerufen. Ein Teil scheffelt unge­heuere Dividenden aus Beteiligungen an Fonds, Kartellen oder Gesell­schaften und scheint alles haben zu können, was er will und in solch unglaublichem Ausmaß, das sie ihren Hunden und Katzen Luxusapparte­ments einrichten. Viele andere kratzen sich mühsam ihnen Lebensunterhalt zu einem Existenzminiraum zusammen; sie können sich kaum das Notwendigste zum Leben verschaffen.

Jeder Nachdenkliche fühlt Gewissensbisse, wenn soziale Zustände heut­zutage derart verzweifelte Leiden überall in der Welt zulassen. Viel Un­glück, das in vergangener Zeit in sehr kurzer Zeit gelindert worden wäre, eitert nun als unbehobene Tragödie weiter. Kein Wunder, das ein grimmiger Hall gegen den übermäßigen Reichtum die Herzen den Unterprivilegierten befällt!

Die hochentwickelten Länder unternehmen globale Anstrengungen, die wirtschaftliche Lage zu verbessern; aber kein Vorteil für die Massen springt dabei heraus; nein, es gereicht ärmeren Ländern sogar zum Nachteil und zu weiterem Absinken. So wird die Kluft zwischen den Klassen noch breiter. Viele Länder stöhnen unter Armut und Hungersnöten.

In einem Artikel über „Ernährung“ hebt das „Ferdosi Magazine“ vom 28. Juli 1948 folgende Punkte hervor:

1.      Die unterentwickelten Länder zählen 2500 Millionen Einwohnen, von denen 500 Millionen an Unterernährung leiden.

2.      1500 Millionen leiden an falscher Ernährung.

3.      Als direkte oder indirekte Folge sterben jährlich 8 Millionen an Hunger.

Allein in Brasilien sterben jährlich 250.000 Kinder an Unterernährung. In Indien hält die Kindersterblichkeit dem natürlichen Bevölkerungszuwachs die Waage. Die Nahrungsmittel, welche eine amerikanische Durchschnittsfamilie täglich fortwirft, würden eine indische Durchschnittsfamilie 4 Tage lang ernähren.

Schlimmer noch: Einige gewissenlose und frivole Personen verursachen künstliche Verknappungen an Lebensmitteln, um die Preise zu erhöhen und stecken sich das in die Tasche, wobei sie die Tatsache übersehen, das diese Nahrungsmittel das Leben ungezahlter Millionen verlängern könnten. Gäbe es Gesetze, die solch unmenschliche und verschwenderische Hemmungslosigkeit unterdrückten, würde der Hunger in der Welt rasch aufhören. So schreibt die Zeitschrift „Enlightened Thought“ auf S. 719: „1960 verschwanden 125 Millionen Tonnen Brotgetreide aus amerikanischen Lagenhäusern. Sie hätten gereicht, um die Mägen von mehr als 500 Millionen Indern ein Jahr lang zu füllen. Amerika vernichtet Jahr für Jahr einen Großteil seiner Ernten, nur um die Preise hochzuhalten. Kapitalistische Vorkehrungen im Westen ließen die Hungersnöte überall in der Welt absichtlich wachsen. Amerika füllt Silos und Lagerhäuser mit Lebensmitteln. Dann zwingt es arme Länder, zum Schaden ihrer Zahlungsbilanz teuer einzukaufen. Auf diese Weise häufen ein paar eigennützige, machthungrige Personen Riesenvermögen an, wobei sie sich eigentlich des Mordes an Millionen unschuldiger Mitmenschen schuldig machen.“

Der Philosoph Bertrand Russell schreibt: „Während der letzten 14 Jahre hat Amerika 4 Milliarden Dollar ausgegeben, um die Weizenüberschüsse der Farmer aufzukaufen. Millionen Tonnen an Weizen, Gerste, Mais, Käse, Butter häufen sich in amerikanischen Lagerhäusern und verderben, bloß um die Preise auf dem Weltmarkt hochzuhalten; heutzutage macht man Berge an Butter und Käse durch gewisse Färbungen für den Verbrauch ungeeignet, damit der Preis für Molkereiprodukte nicht fällt.“

Der Soziologe und Philosoph Stahwood Cobb schreibt in seinem „Gott der beiden Ka’abas“ auf S. 145/46: „Der Zuwachs an Technologie, Industrie und wissenschaftlichem Instrumentarium hat eine tiefere Einsicht in unsere moralische Ärmlichkeit ermöglicht. Die hochentwickelten Länder können sich keiner ethischen Überlegenheit über die zurückgebliebenen rühmen. Unsere moderne materialistische Zivilisation steckt voller Widersprüche und Ungereimtheiten zwischen Worten und Taten, Denken und Sprechen, Vernunft und Gefühl. Die materialistische Kultur verkündet in ihnen verschiedenen Verlautbarungen die theoretische Gleichheit aller Menschen, schafft in der Praxis aber Voreingenommenheiten und Ungleichheiten im Bereich der Ethik, des Verstandes, der Gesellschaft, des Geistes und der Familie; sie rechtfertigt sogar diese Missstände fanatisch.

Die Demokratie erhebt den Anspruch, die ,Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk’ zu sein. Sie ist bestenfalls eine Herrschaft der Wenigen und verwandelt sich bald in die Diktatur eines Einzigen.

Sie beansprucht ,das größte Glück der größten Zahl’ zu bezwecken; tatsächlich fördert sie Ohnmachtgefühl, Versagen, Angst und Elend.

In ihrer Rhetorik entmutigt sie den Altruismus und ein soziales Gewissen, aber die von ihn betrieben Politik ist schrankenloser Eigennutz, ohne jede Rücksicht auf das Schicksal anderer. Individuen und Gruppen, die sich in den Weg stellen, werden rücksichtslos niedergetrampelt. Unsere Zeit lässt alle anderen, die die Geschichte kennt, an Ausbeutung, Gewinnsucht und Machthunger hinter sich.“

In seiner „Soziologie“, S. 157, schreibt Samuel König: „Die Industrieländer umfassen 25% der Weltbevölkerung und besitzen 85% der Anlagevermögen, so das 15% für die restlichen 75% der Menschheit übrig bleiben. Wie die Zeit verstreicht, vergrößert sich nur der Abstand. In den reichen Ländern selbst ist nur die Minderheit reich. Ein US-Senatsausschuss von 1946 bestätigte, das 5% der großen amerikanischen Industrieunternehmen 80% des Industriekapitals besitzen, 60% aller Belegschaften kontrollieren und 80% alter Gewinne aus der Industrie abschöpfen.“

Der Präsident der UN-Weltorganisation „Landwirtschaft und Ackerbau“ sagt in einem Artikel „Hungernde Menschen“ (von José de Castro, Nr. 8, S. 24): „Heute haben zwei Drittel der Weltbevölkerung dauernd Hunger und ungefähr 1500 Millionen leben auf Existenzminimum, leiden also dauernd an diesem schrecklichsten aller sozialer Übel.“

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