Musawi Lari

Westliche Zivilisation und Islam

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Ins Englische übersetzt von J.F. Goulding, hiernach ins Deutsche übertragen durch R.H. Sengler

Das folgende Manuskript ist eine geringfügig überarbeitete und sprachlich verfeinerte Version der 1995 in Qum erschienenen deutschen Übersetzung.

Delmenhorst 2004

Revolution in der Kultur

Man kann keinen besseren Beweis für die Leidenschaft des Islam zur Aus­breitung der Belesenheit von seinen allerersten Anfängen an liefern, als die Worte des Propheten selber, der nach der Schlacht von Badr und dem Sieg der Muslime zu der riesigen Menge, die sie gefangengenommen hatten, sagte, wenn einer von ihnen sich loskaufen wolle, aber das Lösegeld dafür nicht habe, könnte en seine Kenntnis des Lesens und Schreibens dafür verwenden, und jeder schreibkundige Gefangene, der 10 Muslime das Lesen und Schreiben beibringe, würde damit seine Freiheit gewinnen. Seine Ankündigung wurde in die Praxis umgesetzt und so geschah es, das eine große Zahl seiner ursprünglichen Anhänger sich auf den Weg zur Bildung machte.

Sein Neffe und Nachfolger, der Imam Ali, der gesegnet sei, erklärte, die Verbreitung von Wissenschaft, Wissen, Kultur und geistiger Fähigkeiten sei eines der Verdienste, die jede muslimische Regierung begehren und er­reichen sollte. Die Aufzeichnung seiner Worte, so wie sie überliefert sind, lautet: „Leute! Ich habe Rechte über Euch und Ihr habt Rechte über mich. Euer Recht über mich ist, das Ihr darauf besteht, das ich Euch immer Führung und Rat zuteil werden lasse und Euer Bestes suche, die öffentlichen Mittel und Euren ganzen Lebensunterhalt verbessere und Euch dabei helfe, aus Unwissenheit und Analphabetentum die Höhen des Wissens, der Bildung, der Kultur, des sozialen Umgangs und guter Führung zu erklim­men.“

215 Jahre nach der Hidschra (Auswanderung d. Propheten) gründete der Abbasieten-Kalif Ma’amoun ein „Haus der Weisheit“ in Bagdad als Mittelpunkt der Wissenschaft und stattete es mit einem astronomischen Observatorium und einer öffentlichen Bücherei aus, für die er 200 000 Dinar (das Äquivalent von rund 7 Millionen Dollar) bereitstellte. Er versammelte eine große Zahl von Gelehrten, die mit Fremdsprachen und verschiedenen Disziplinen vertraut waren, wie Honain und Bakht-eeshoo’ und Ibn Tariq und Ibn Muqafa’ und Hadschadsch bin Matar und Sirgis Ra’asi (sie alle zu erwähnen ginge zu weit), bestimmte einen gro­ßen Betrag für sie und sandte viele von ihnen in sämtliche Länder der Welt, um Bücher über Medizin, Philosophie, Mathematik, Schöne Literatur auf Hindu, Pahlevi, Chaldäisch, Syrisch, Griechisch, Lateinisch und Farsi zu sammeln. Es heißt, das die umfangreichen Sammlungen, die sie nach Bagdad sandten, über hundert Kamelladungen umfassten!

Europa hatte in jenen Jahrhunderten keine einzige Universität oder Kul­turzentrum aufzuweisen, als islamische Länder deren schon viele besaßen, die mit Fachleuten und Spezialisten aus allen Zweigen der Wissenschaft ausgestattet waren. Diese Zentren des Islam fingen nun an, Wellen glanzvoll­en neuen Denkens in die Welt auszustrahlen, genau in dem Augenblick, als die Kreuzzüge In Gang gesetzt wurden. Ja, man könnte vielleicht sogar sa­gen, das die neue, vom Islam geförderte Bildung selber den Europäern einen Teil ihres neuen Denkens zur Verfügung stellte, die jede Art von Tapferkeit, welche sie in jenen verheerenden Kriegen bewiesen, ermöglichte und den Neid und die Gier zur Leidenschaft anfachte, weil sie sich ja nun dieser Schätze selbst bemächtigen wollten, die sie den Islam den Völkern unter seiner Herrschaft bringen sahen.

Dr. Gustave Ie Bon schrieb (5/329, Bd. III seiner „Geschichte der islamischen und arabischen Kultur“): „In jenen Tagen, da Bücher und Bibliotheken für die Europäer nichts bedeuteten, besaßen viele islamische Länder Bücher und Bibliotheken in Mengen. Tatsächlich befanden sich in Bagdads ,Haus der Weisheit’ 4 Millionen Bände, in der Bücherei des Sultans in Kairo 1 Million, in den Bibliothek von Tripolis (Syrien) 3 Millionen; und dabei wurden in Spanien allein, soweit es unter Muslim-Herrschaft stand, jährlich zwischen 70 000 und 80 000 Bände publiziert.“

G. I’Estrange in seiner „Erbschaft des Islams“ schreibt unter 5/230: „Die Universität Mustansariyya wurde mit einer Ausrüstung ausgestattet und auf einem gewaltigen Gelände mit College-Gebäuden mit derartiger Pracht erbaut, dass ihresgleichen weder in der Welt der Muslime noch anderswo zu finden ist. Seine vier Rechts-Kollegien, jedes mit 75 Studenten und einem Professor, der die Studenten gratis unterrichtete, zahlten dem Professor ein Monatsgehalt, während jeder der 300 Studenten monatlich einen Golddinar bekam; eine College-Küche bereitete die täglichen Mahlzeiten. Ibn-el-Farat berichtet, das die Bibliothek in vielen Bereichen der Wissenschaft unschätz­bare, einzigartige Bände enthielt, die sich jeder Student ausleihen konnte. Schreibgeräte und Papier standen für Notizen bereit, wenn es jemand wünschen sollte. Die Universität besaß Hammams (Bäder) und Krankenquar­tiere. Ihre Ärzte führten täglich eine Inspektion der Colleges durch und schrieben Rezepte für jeden aus, der krank war. Die Collagemagazine konn­ten die verordneten Arzneien sogleich liefern. All dies zu Beginn des 13. Jh. n. Chr.!”

Dr. Max Meyerhof schreibt: „In Istanbul besitzen die Moscheen zusam­men mehr als 80 Bibliotheken mit Zehntausenden von Büchern und alten Manuskripten. In Kairo, Damaskus, Mosul, Bagdad sowie in iranischen und indischen Städten stehen andere große Bibliotheken voller Kostbarkei­ten. Ein richtiggehender Katalog all dieser wertvollen Bände liegt zur Stunde noch nicht komplett im Druck vor. Außerdem enthält die Bibliothek des Escorial auf der iberischen Halbinsel eine riesige Abteilung mit Büchern und Manuskripten, die von islamischen Gelehrten des Westens verfasst wurden und die auch noch nicht vollständig katalogisiert ist.“

Dr. Gustave Ie Bon schreibt in seinem „Islamische und arabische Kultur“ (Seite 557/8): „Die Muslime betrieben die Wissenschaften mit tiefem Eifer. In jeder eroberten Stadt war ihre erste Handlung, eine Moschee und danach ein Kolleg zu bauen. Dies führte in einer großen Zahl von Stätten zur Er­richtung majestätischer wissenschaftlicher Institute. Benjamin Toole (gest. 1173 n. Chr.) sagte, er habe in Alexandrien mehr als 20 Kollegien bei der Arbeit gefunden. Bagdad, Kairo, Cordoba und andere Stätte besaßen alle große Universitäten mit Laboratorien, Observatorien, riesigen Büchereien und allen sonstigen Erfordernissen für die Bewältigung geistiger Probleme. In Andalusien allein gab es 70 öffentliche Bibliotheken. Die Bibliothek Al-Hakems II. in Cordoba enthielt 600 000 Bände, und 44 Bände waren vonnöten, um sie zu katalogisieren. Als Karl der Gerechte vier Jahrhunderte später die Bibliothèque Nationale von Paris gründete, konnte er gerade 900 Bände zusammenbekommen, und das erst nach vieler Mühsal; ein Drittel davon über Religion.“

Derselbe Autor fügt auf Seite 562 hinzu: „Die Muslime betrieben die Wissenschaft mit besonderem Eifer, wo es auf Genauigkeit, Experimente und weitblickende Entdeckungen mittels Hypothesen ankam, und zugleich schufen sie Bücher, Abhandlungen und höhere Schulen, die ihre geistige Überlegenheit in alle Winkel den Welt ausstrahlten. Damit wiesen sie Europa die Straße für seine Renaissance. Mit Recht also wird der Titel ,Europas Professor’ der neu erwachten Macht des Islam verliehen, denn durch die Muslime wurden die Schätze alter griechischer und römischer Weisheit wiederentdeckt, vermehrt und Europa zurückerstattet, als es sich aus dem dunklen Mittelalter zu erheben begann.“

Josef Marc Kapp schreibt in seinem Buch „Muslimischer Glanz in Spa­niens“, S. 170, wo er sich mit den ersten Jahrhunderten des kulturellen Fort­schritts beim Islam beschäftigt: „Selbst die untersten Gesellschaftsschichten dürsteten danach, lesen zu lernen; und schlichte Arbeiter gaben den letzten Sou, den sie an Nahrung und Kleidung erübrigten, für Bücher aus. Ein Arbeiter brachte eine solche Bücherei zusammen, das Gelehrte zu ihm strömten. Freigelassene Sklaven und deren Kinder betraten die Reihen der Gebildeten und Männer wie Vafyat-ul-A’iyan Ibn Khalkan legten den Grund für große Fortschritte.“

Nehru schrieb in seinem Buch „Ein Blick auf die Weltgeschichte“, S. 413, mit Bezug auf den Nutzen, den der soziale Fortschritt und die Kultur­revolution der Muslime in Andalusien brachte: „Córdoba hatte über eine Million Einwohner, einen herrlichen öffentlichen Park von etwa 20 km Länge und Vorstädte, die sich über 40 km weit erstreckten. Da standen 6.000 Paläste, Herrenhäuser, große Häuser, 200.000 kleine, schöne Häuser, 70.000 Laden und kleine Geschäfte, 300 Moscheen, 700 öffentliche Ham­mams mit kalten und warmen Bädern. Es gab ungezählte Büchereien, deren umfassendste und bedeutendste die königliche Bibliothek war, welche 400 000 Bände enthielt. Die Universität war in ganz Europa und in West­asien berühmt. Auch für die Armen wurden Bildungsmöglichkeiten bereit­gestellt. Tatsächlich schreibt ein zeitgenössischer Historiker, das damals fast jedermann in Spanien lesen und schreiben konnte, während im übrigen Europa, dem christlichen, abgesehen von den Mönchen und Klerikern, die in Ordenshäusern erzogen wurden, niemand, auch nicht der höchste Adel, es für wert erachtete, auch nur den Versuch zu machen, die Grundlagen des Lesens zu erlernen.“

Um diese Behauptung zu illustrieren, füge ich acht extrem kurze Kapital hinzu, jedes über einen anderen Wissenschafts- und Kulturbereich ; besonders verpflichtet bin ich der „ Legancy of Islam“ von Arnold und Guillaume (erschienen O.U.P.1931), auf die ich jeden Leser verweise, der seine Kenntnisse erweitern möchte.

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