Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Bürgermeisterkandidaten werben um jede Stimme

Der damalige Bürgermeister in Delmenhorst genoss zwar nicht den gleichen Popularitätsgrad wie der Bremer, aber auch er wollte wiedergewählt werden. Bei den Wahlen zum Oberbürgermeister 2001 in Delmenhorst ereignete sich etwas für uns Ungewöhnliches. Der langjährige Amtsinhaber und Favorit Dr. Norbert Boese (SPD) hatte einen sehr engagierten Herausforderer bekommen, den Richter Karsten Schwettmann (CDU). Traditionsgemäß geht es bei derartigen Wahlen auf der kommunalen Ebene nicht allein um die Parteizugehörigkeit, sondern eher um Themen, welche die Menschen Vorort direkt betreffen. Über einen muslimischen Freund wurden wir gefragt, ob wir Interesse hätten, den Herausforderer Schwettmann besser kennenzulernen. Er wäre bereit, uns in einer beliebigen Wohnung zu besuchen. „Warum nicht?“, dachten wir uns und wollten dem Kandidaten eine Chance geben, auf unsere lokalen Probleme einzugehen. An erster Stelle standen da die Probleme der muslimischen Kinder – insbesondere der Mädchen – mit einigen wenigen unverständigen Lehrern.

So trafen sich die als Wortführer bekannten Muslime mit deutschem Ausweis mit Herrn Schwettmann und befragten den Kandidaten eine gute Stunde lang. Ich hatte zu Lehrzwecken auch meinen ältesten Sohn (er war damals 14) mitgenommen. Herr Schwettmann hatte alle unsere Fragen mehr oder weniger diplomatisch beantwortet. Er machte einen ehrlichen Eindruck auf uns. Dann fragte ich eine für mich sehr wichtige Frage. Nachdem ich mich höflichst entschuldigt hatte, dass ich nicht indiskret werden wolle, aber es uns sehr interessierte, fragte ich ihn, ob er denn als Christ beten würde. Er antwortete nach einer kurzen Überlegungspause sinngemäß: „Eigentlich nicht, aber wenn ich in Not bin, ja“! Sicher, die Antwort war aus rein religiöser Sicht betrachtet scheinbar eine Katastrophe, denn in Not sucht fast jeder die Hilfe einer höheren Macht. Aber es war die Aufrichtigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit zusammen mit den auch sonst akzeptablen Antworten vor immerhin acht bärtigen Männern und einem Jugendlichen, die uns dazu veranlasst hat, unter unseren Bekannten und Freunden die Geschichte zu verbreiten, was sicherlich zu einer gewissen Sympathie für Herrn Schwettmann geführt hat. Herr Schwettmann erzwang mit über 44% Stimmen im ersten Wahlgang eine Stichwahl, die er dann mit 66% der Stimmen gewann.

Herr Schwettmann hatte uns zugesagt, dass er auch nach seiner Wahl jederzeit für uns erreichbar sein würde. Und so mailte mein Sohn ihn einmal an, als er für einen Wohltätigkeitszweck für eine Laufveranstaltung einen persönlichen Sponsor brauchte. Der Sponsor sollte pro gelaufener Runde des Schülers einen bestimmten Betrag zahlen. Herr Schwettmann war sofort einverstanden. Zum Abholen des Betrages durften wir ihn am Stadtrand von Delmenhorst in seinem Haus besuchen. Da es kurz nach dem 11. September 2001 war, fragte er uns nach den Problemen, welche einige muslimische Schüler gehabt haben. Wir erzählten von dem Vorgang, dass eine junge Muslima, die am Folgetag nach dem 11. September versehentlich zu spät zum Unterricht kam, von ihrer Lehrerin mit der Frage begrüßt wurde, ob sie denn die Nacht durchgefeiert hätte, was das Kind schockierte. Aber derartige Entgleisungen waren Ausnahmen, und eher auf die Tatsache zurück zu führen, dass die Nerven blank lagen. Ohnehin hatte sich die Lehrerin später öffentlich in der Klasse für diese Entgleisung entschuldigt.

Zur Ehrenrettung unseres Oberbürgermeisters sei erwähnt, dass Herr Schwettmann damals wohl gar nicht wusste, mit welchen “Islamisten“ er es da zu tun hatte, denn unsere “Karriere“ diesbezüglich sollte ja erst noch folgen. Sein Nachfolger im Amt sollte da eine andere “Beziehung“ zu uns gestalten.

Nachdem wir nun den Oberbürgermeister kennengelernt hatten, sollten wir bei einer anderen Gelegenheit auch die jüngste Bürgermeisterin einer deutschen Stadt kennen lernen. Deutschlandradio war auf einer Städtetour und hatte in Delmenhorst u.a. den Muslim-Markt zum Interview geladen. Ich saß an einem Tisch im Sendesaal und wartete darauf, von dem Journalisten aufgerufen zu werden, als eine junge Frau sich nach dem freien Platz neben mir erkundigte und mir die Hand reichte. Als ich ihr freundlich mitteilte, dass ich sie aus religiösen Gründen nicht berühren dürfte, schien sie mich zu “erkennen“ (die Geschichte mit der Hand erklären wir in einem der folgenden Kapitel). Auch mir kam sie bekannt vor, aber leider konnte ich Sie nicht zuordnen. Als sie sich dann selbst als Bürgermeisterin Swantje Hartmann vorstellte, fiel mir sofort der Zeitungsartikel über die jüngste Bürgermeisterin Deutschlands ein. Auch sie kannte mich nur aus Zeitungsartikeln. Ich entschuldigte mich für mein Unwissen, und alle warteten gespannt, ob und wie ich im Interview der Stadt schaden würde. Zur Überraschung der Anwesenden lobte ich die Toleranz der Stadt und ihre guten Behörden usw. usf. und stellte die Stadt in einem viel positiveren Licht dar, als es viele andere taten. Andere fügten der Stadt später sehr großen Schaden zu, als sie öffentlich in einer Art privaten Schlammschlacht jene Frau Hartmann bekämpften und sie am Ende von der SPD zur CDU wechselte.

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