Das Hundedilemma
Hunde
gehören zum deutschen Alltag fast wie das Bier. Aber was mögen
Muslime gegen diese Gottesgeschöpfe haben – mag der Leser
jetzt denken – dass diese Vierbeiner jetzt auch noch in diesem
Buch erscheinen. Dabei sind die Probleme der Muslime mit
diesen Vierbeinern ganz spezieller Art. Es geht hier nicht
darum, dass die Hunde zu Ersatzkindern mutiert sind, wie uns
eine Nachbarin mitleidsvoll mitteilte, als wir dem Hund aus
dem Weg gingen („der tut doch nichts, der ist wie unser
Kind“). Auch geht es nicht darum, dass allein die Speise
der Hunde in Deutschland ganze Länder in Afrika versorgen
könnte. Und nicht zuletzt geht es auch nicht darum, was ein
muslimischer Glaubensbruder, der von Beruf Postbote ist, mit
diesen Vierbeinern so alles erlebt, denn das können seine
nichtmuslimischen Kollegen auch erzählen. Vielmehr geht es um
eine ganz banale Szene im täglichen Alltag:
Wir
gehen mit der Familie im angrenzenden Naturschutzgebiet
spazieren, und plötzlich kommt uns ein Hund mit Herrchen oder
Frauchen entgegen, manchmal auch angeleint. Der Hund in seinem
jugendlichen Forscherdrang läuft auf uns zu und möchte uns
anschnüffeln. Wir machen einen Satz zurück und versuchen
irgendwie auszuweichen. Manchmal klappt es, manchmal nicht. In
allen Fällen kommt der Hinweis: „Aber der ist ganz lieb,
der beisst doch nicht“. Das Problem ist dabei gar nicht
die Tatsache, dass der Hund uns beißen könnte, sondern die
Tatsache, dass er uns anschnüffelt.
Einmal
haben wir im Fall von entfernten Straßennachbarn versucht,
diesen Umstand einem Herrchenpaar in aller Höflichkeit zu
erläutern und ihnen geantwortet: „Bitte ziehen sie den Hund
zurück, denn wenn der Hund an unserer Hose schnüffelt, dann
können wir mit der Hose nicht mehr beten“. Hundeherrchen
und Hundefrauchen schauten uns völlig verdutzt an, schienen
die Antwort nicht zu verstehen, zeigten uns auf offener Straße
die Mattscheibe und zogen ihren Hund von uns weg, allerdings
nicht um unsere Hosen, sondern um ihren Hund vor diesen
merkwürdigen Gestalten zu schützen.
Zugegeben, es
ist kaum möglich, auf der Straße auf die Schnelle die Regeln
des islamischen Ritus zu erläutern, aber über das
Angeschnüffeltwerden regen sich auch Nichtmuslime auf. Was
aber hat es nun damit auf sich?
Im Islam gibt
es sehr umfangreiche Riten und Regeln bezüglich Sauberkeit und
Reinheit. Während “Sauberkeit“ dem auch im Deutschen bekannten
Begriff entspricht, ist “Reinheit“ nicht eine Steigerung von
Sauberkeit, sondern ein ritueller Zustand, der bestimmte
Voraussetzungen und Bedingungen hat, die ganze Bände füllen.
Muslimische Kinder lernen diese Regeln automatisch im
Elternhaus. Zu diesen Reinheitsregeln gehört, dass man keine
“Unreinheit“ am Körper und an seiner Kleidung während einer
heiligen Handlung hat. “Unrein“ sind z.B. Urin und
alkoholische Flüssigkeiten. Es gibt aber auch zwei “unreine“
Tiere: Schwein und Hund. Die Tiere werden dadurch nicht
abgewertet oder beleidigt, schließlich sind sie Gottes
Geschöpfe wie jedes andere auch. Aber sie haben gegenüber dem
Menschen eine Wirkung, die das spirituelle Leben
beeinträchtigt. “Unreinheit“ wird durch Feuchtigkeit oder
Nässe übertragen. Und wenn ein Hund mit seiner feuchten
Schnauze an einem herumschnüffelt, dann wird diese Stelle
unrein und bedarf der “Reinigung“ (nicht zu verwechseln mit
“Säuberung“) mit Wasser. Da wir ungern nach jedem Spaziergang
unsere Hose waschen mögen und bei fünf Gebeten am Tag reine
Kleidung tragen müssen, vermeiden wir die Schnüffelei. So
einfach ist das.
In
diesem Zusammenhang erschien es wie ein schlimmer Angriff auf
das Heiligtum einer Moschee, wenn im Zuge von Durchsuchungen
gleich mehrere Polizeihunde die Moschee entweihten und
verunreinigten. Wenn sich solche Vorfälle unter einem
bestimmten Innenminister der Republik besonders häufen, und
dieser, zumindest in den Augen der Muslime, den Eindruck
erweckt, ganze Scharen von Hunden an allem Möglichen
herumschnüffeln zu lassen, gepaart mit Sondereinheiten, die
mit Kampfstiefeln den Gebetsraum der Moscheen betreten, dann
empfindet so ziemlich jeder noch so “moderate“ Muslim in
diesem Land eine große Abneigung, unabhängig davon, wie sehr
er diese Abneigung veröffentlicht! Dabei wäre es doch so
einfach, das Konfliktpotential zu vermindern. Es ist doch kein
Geheimnis, dass man die Moschee nicht mit Schuhen betreten
soll. In Moscheeräumen gibt es ohnehin kaum Möbel, so dass
Hunde wenig sinnvoll sind, und was sollten sie denn schon
finden? Drogen wird es in der Moschee nicht geben, und
Sprengstoff wird man kaum unter dem Teppich verstecken können.
Aber selbst, wenn das vermutet wird, wäre es doch so einfach
für die Sondereinsatzkräfte, sich vor dem Eintritt in den
geweihten Raum Einwegfüßlinge überzuziehen, die es in jedem
Labormarkt gibt. Und niemand könnte ihnen dann vorwerfen, dass
sie die Moschee bewusst entweiht haben!
Doch manchmal hat man als Muslim in diesem Land den Eindruck,
als wenn es gar nicht darum geht, Konfliktpotentiale zu
reduzieren oder Konflikte zu vermeiden, sondern es scheint so,
als gehe es um die Demonstration von Macht und Überlegenheit.
Wir können viel spekulieren, jedoch werden wir nicht verstehen
können, warum ein Innenminister nicht sein Volk vor den wahren
Feinden schützt, sondern sein Amt für einen scheinbar
persönlichen Feldzug insbesondere gegen unschuldige Muslime
nutzt. Dieser Abschnitt wurde zu einer Zeit geschrieben, als
ein früherer Innenminister derartige Dinge zu verantworten
hatte. Manche glauben, dass es beim neuen Bundesinnenminister
nicht besser geworden ist.
Muslimen wird eine Mattscheibe gezeigt, und jegliche
Spiritualität und Reinheitsvorschriften im wahrsten Sinn des
Wortes mit Füßen getreten, u.a. mit den Füßen von Hunden. Das
ist wirklich ein großes Dilemma, und ein Ausweg besteht nur
darin, dass verantwortliche Politiker in aller Besonnenheit
nach Strategien und Wegen zum gegenseitigen Verständnis suchen
und Muslime halt etwas öfter ohne zu murren, ihre Hosen
waschen – pardon, reinigen.