Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Das ZDF ebnet den Weg zu einer islamischen Ehe

Die Geschichte meiner Heirat war für mich wie ein Wunder Gottes: Ich saß an einem Freitag Abend den 7.4., dem Vorabend zum Beginn des Fastenmonats im Jahre 1989 zu Hause in Clausthal-Zellerfeld an meiner Studienarbeit, als ich plötzlich einen Telefonanruf bekam. Da alle meine Freunde und Bekannten wussten, dass ich alles, was über den Islam im Fernsehen kommt, als Dokumentation auf Video aufnahm, wurde ich öfters angerufen, wenn es etwas im Fernsehen über den Islam gab, damit ich nichts verpasste. So auch dieses Mal.

Mohammad-Ali Ramin rief mich an und sagte nur: „Es läuft gerade ein Bericht im Auslandsjournal über das Kopftuchverbot in der Türkei“. Ich legte sofort auf und drückte auf die Aufnahmeknöpfe meines immer bereiten Videorekorders.

Es war ein Bericht von Knut Terjung im ZDF-Auslandsjournal. Zu Anfang wurden nur die üblichen schon aus tausenden und abertausenden von Berichten bekannten Vorurteile gegenüber dem Kopftuch geäußert, so dass ich mich wieder ein wenig enttäuscht an meine Studienarbeit setzte. Zum Ende des Berichtes allerdings wurden zwei betroffene junge türkische Frauen, welche das islamische Kopftuch tragen, in deutscher Sprache interviewt. Eine dieser zwei Frauen wurde in diesem Zusammenschnitt deutlich häufiger gefragt. Die Antworten, welche die Muslima gab, waren für mich sehr überraschend. Praktisch antwortete sie auf jede Frage so, wie auch ich geantwortet hätte. Ich war fasziniert!

Bis zu diesem Tag, eigentlich bis zu dieser Sekunde, hatte ich nie über Heirat nachgedacht. Plötzlich jedoch wusste ich, diese Frau möchte ich gerne heiraten, falls Sie noch unverheiratet ist! Nun, mir war klar, dass da einige Hindernisse noch vor mir lagen. Aber gut, ich war mir eben sicher.

Das erste, was ich tat, war das Zweite Deutsche Fernsehen anzurufen, um herauszubekommen, wie ich Herrn Knut Terjung erreichen konnte. Im Film wurde der Vorname, das Alter und die Studienrichtung der Muslima genannt; leider nicht mehr. Das ZDF konnte mir nur sagen, dass Herr Terjung sein Büro in Griechenland habe und ich mich am Montag dorthin wenden sollte. Mit der Telefonnummer für Griechenland in der Hand musste ich nun tatenlos bis Montag warten. Ich nutzte also die Zeit und rief meine Eltern in Hamburg an. Ich erzählte ihnen die Geschichte, und dass ich diese Frau heiraten möchte.

Irgendwie wollte mich keiner so richtig ernst nehmen. Ich konnte niemanden so richtig davon überzeugen, dass ich diese Frau aus dem Fernsehen tatsächlich heiraten wollte. Ich konnte ja auch nicht einmal beantworten, ob diese Frau nicht schon längst verheiratet war oder nicht.

Nun muss man wissen, dass damals gerade das TV-Kabelnetz neu aufgebaut wurde. In Hamburg, wo meine Eltern lebten, war es schon installiert. Dienstags wurde das Auslandsjournal auf einem dieser neuen Kabelsender wiederholt. Also schlug ich meinen Eltern vor, dass Sie sich die Sendung am Dienstag selbst anschauen sollten.

Der Fastenmonat hatte angefangen, und ich versuchte meine Gebete noch viel inniger zu beten als zuvor. Immer mit dem Wunsch zu meinem Schöpfer, dass, falls es die richtige Frau für mich ist, Er die Heirat doch ermöglichen solle.

Am Montag, den 10.4.1989, rief ich endlich bei Herrn Knut Terjung in Griechenland an und bekam ihn auch gleich an den Apparat. Er war sehr freundlich, und bevor ich aussprechen konnte, fragte er mich, wie ich den Beitrag fand. Nun war ich in der Zwickmühle. Es war sowieso schon schwer gewesen, sich eine Taktik auszudenken, um an die Adresse der Frau zu gelangen. Aber durch die Frage von Herrn Terjung war alles ein wenig schwieriger geworden. Wie konnte ich ihm sagen, dass der Bericht aus meiner Sicht eine Katastrophe war und gleichzeitig ihn anschließend um einen Gefallen bitten?

Trotzdem habe ich ihm gegenüber einige kritische Bemerkungen zum Bericht gemacht. Darüber haben wir dann einige Minuten diskutiert. Leider waren damals die Telefoneinheiten insbesondere ins Ausland viel teurer als heute, und daher musste ich mich beeilen. Also fragte ich nach der Frau am Ende des Berichts. Er sagte, dass ich mich doch ans Büro in der Türkei wenden solle. Dort würde seine Assistentin sitzen, und wenn überhaupt, dann hätte sie die Adresse.

Also, der nächste Anruf war dann in die Türkei. Dort bekam ich auch ziemlich schnell die Assistentin zu sprechen. Diese fragte mich auch wieder, bevor ich zu Ende sprechen konnte, nach dem Inhalt des Berichts, da sie diesen noch nicht gesehen habe. Ich habe den Inhalt aus meiner Sicht wiedergegeben. Da wurde sie ein wenig wütend. Aus ihrer Sicht sollte der Bericht anders übermittelt werden. Nun, am Ende fragte ich sie nach der Adresse. Sie aber sagte mir, dass sie diese Adresse nicht herausgeben dürfe.

So kam ich also nicht weiter.

Am Dienstag, als meine Familie – und damit meine ich meine gesamte Familie – die Wiederholung des Berichts gesehen hatte, waren sie – vorsichtig formuliert – ein wenig überrascht. Denn sie konnten nicht nachvollziehen, warum ich denn nun ausgerechnet diese Frau heiraten wollte. Aber trotzdem wollten sie mir helfen. Meine Mutter versprach mir, einigen Bekannten in der Türkei Bescheid zu geben. Vielleicht würden sie die Adresse herausbekommen.

Etwa eine Woche später kam dann plötzlich ein Anruf aus Hamburg mit der Nachricht: „Wir haben die Adresse.“

Ihr Vater war in Deutschland Lehrer gewesen, daher konnte sie so gut Deutsch, und – was sehr wichtig war – sie war nicht verheiratet. Was mich am meisten überraschte, war die Tatsache, dass sie knappe zehn Minuten vom Haus meiner Großeltern in Istanbul entfernt wohnte. Wie viele sicherlich wissen, kann man in Istanbul auch Stunden voneinander entfernt wohnen. Die erste Hürde war nun genommen. Aber was nun?

Die ganze Woche hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Was mache ich denn, wenn ich die Adresse habe? Ich kann ja wohl kaum nach Istanbul fliegen, an die Haustür klopfen und sagen. „Entschuldigen Sie bitte, ich habe Sie im Fernsehen gesehen, ich möchte Sie heiraten.“ Ich kam zu keiner Lösung. Aber mein bester Freund, einer der gelehrtesten Muslime, den ich kenne, unser Glaubensbruder Mohammad-Ali Ramin, gab mir einen Rat. Er empfahl mir, meinen Vater, meine Mutter und meine Schwester zu bitten, jeweils einen Brief zu schreiben: Mein Vater an ihren Vater, meine Mutter an ihre Mutter, und meine Schwester an sie. In diesen Briefen stand, dass meine Familie den Fernsehbericht gesehen hat und ihre Familie gerne einmal kennenlernen möchte, zumal ohnehin alle nach dem Fastenmonat in die Türkei fahren wollten. Von mir war natürlich nicht die Rede; nicht ein Wort über mich. Mein Gedanke war, dass die Familien sich erst einmal kennenlernen sollten.

Inzwischen waren zwei Drittel des Fastenmonats vorbei. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so intensiv gebetet zu haben. Nach und nach bekam ich auf meine Fragen die Antworten, so dass es zu einer Gewissheit in mir wurde. Ich wusste, ich würde diese Frau – mit Gottes Erlaubnis – heiraten. Viele meiner Bekannten fanden zwar alles, was bis dahin passiert war, äußerst interessant, aber ernst wurde ich trotzdem nicht genommen.

Es kam der letzte Fastentag, das letzte Fastenbrechen. Wir waren zusammen und sprachen über den Fastenmonat, der nun vorüber war. Spät abends ging dann jeder nach Hause. Als ich zu Hause den Schlüssel in die Tür steckte, hörte ich, wie das Telefon klingelte. Ich lief hin. Mein Vater war am Apparat. Er teilte mir mit, dass wir gerade eine Antwort aus der Türkei bekommen hätten. Meine Eltern seien bei der nächsten Gelegenheit, wenn sie in der Türkei sind, zum Kaffee eingeladen.

Meine Eltern sind dann ein paar Wochen später in die Türkei geflogen. Ich konnte nicht mit, denn ich stand mitten in meinen Prüfungen. Der nächstmögliche Termin war erst Ende Juli. So habe ich meine Schwester gebeten, mit meinen Eltern mitzufliegen und bei dem ersten Besuch dabei zu sein, um mir dann anschließend davon zu berichten.

Endlich kam der Tag, an dem sich die Eltern kennenlernen sollten. Ich konnte den Abend nicht abwarten und rief immer wieder an, bis sie endlich wieder zu Hause waren. Was musste ich da hören? Meine Schwester erzählte mir, dass meine Mutter – Gott habe sie selig – ohne Absprache Bilder von mir mitgenommen und die ganze Geschichte von A bis Z erzählt hatte. Und nun?

Kein Problem“, sagte meine Schwester. Anscheinend haben alle neugierig zugehört und fanden es äußerst interessant. Am Ende hätten sie gefragt, wann ich denn mal in die Türkei kommen wollte.

Gott sei Dank. Alles war also doch gut, sogar besser als erwartet, gelaufen. Jetzt musste ich mich noch bis zum 25. Juli, einem Dienstag, gedulden. Mein Flug war am Abend von Hannover nach Istanbul. Vorher rief ich aber noch bei meiner Mutter an und bat sie, uns gleich für den nächsten Tag zum Kaffee anzukündigen.

Meine Mutter wollte mich beruhigen. Ich solle noch ein wenig Geduld haben, ich hätte doch drei Wochen Urlaub. Erst sollte ich die Zeit in der Türkei genießen, und dann könnte man ja immer noch zu ihnen. In der Türkei würde alles normalerweise ein bisschen langsamer gehen. Nachdem man sich kennenlernt, kann man sich ja ein Jahr lang Briefe schreiben, dann könnte man immer noch sehen.

Aber ich hatte einen ganz anderen Plan. Ich wollte so schnell wie möglich zu der Familie, um die Frau aus dem Fernsehen zu treffen. Ich war davon überzeugt, dass wir heiraten würden. Da ich für alles ja nur drei Wochen Zeit hatte, war also Eile geboten. Natürlich nahm mich inzwischen fast niemand mehr richtig ernst.

Kurz vor dem Abflug rief ich noch einige gute Freunde an und erzählte ihnen, dass ich in die Türkei fliegen würde, um zu heiraten. Auf der einen Seite war es schon ein wenig merkwürdig, denn jeder fragte mich, wie und wo ich sie denn kennen gelernt hätte. Als ich dann wahrheitsgemäß antwortete, wussten sie nicht, ob ich scherzte und waren stumm, auf der anderen Seite merkten sie schon, dass ich es tatsächlich ernst meinte.

In der Nacht zu Mittwoch kam ich in der Türkei an. Übermüdet habe ich dann ein wenig in der Wohnung meiner Eltern in Istanbul geschlafen. Anschließend vergingen die Minuten wie Stunden. Doch endlich war der Zeitpunkt gekommen. Wir, d.h. meine Eltern und ich, fuhren zu der Familie. Wir wurden alle sehr herzlich empfangen. Ich wurde natürlich besonders begutachtet. Aber die Gesprächsthemen drehten sich um so spannende Ereignisse wie das Wetter usw. Da fasste ich mir ein Herz und fragte, ob es nicht möglich wäre, dass ich mit Frau Mihriban (so hieß die Tochter) in einem anderen Zimmer alleine sprechen könnte. Sie erlaubten es uns.

Endlich war ich nun alleine mit der Frau, die ich heiraten wollte. Ich wusste nicht viel über ihre Geschichte. Ich war mir nur sicher, dass mein Schöpfer mir gesagt hatte, dass diese Frau die Richtige für mich ist. Also erzählte ich ihr die Geschichte, warum ich sie kennenlernen wollte und bat sie, mich alles zu fragen, was sie wollte.

Es entwickelte sich ein dreistündiges Gespräch, allein hin und wieder dadurch unterbrochen, dass ihre Mutter uns Früchte ins Zimmer brachte. Wir hätten ohne Probleme weitere drei Stunden sprechen können, aber unsere Eltern wussten langsam nicht mehr, was sie miteinander reden sollten. Meine Mutter bat mich dann, das Gespräch für heute abzubrechen und lud Mihriban mit ihrer Mutter für den nächsten Tag nach Çamlica (gesprochen Tschamlidscha) ein. Çamlica ist ein Hügel in Istanbul mit einem Teegarten, von dem man ganz Istanbul überblicken kann.

Die ganze Nacht dachte ich nur an die drei Stunden und warum meine zukünftige Frau so direkte Fragen stellte. Es waren Fragen, die nur jemand stellen konnte, der mich zumindest ein wenig kannte. Am nächsten Tag bin ich dann mit meiner Mutter nach Çamlica gefahren, wo wir Frau Mihriban und ihre Mutter trafen.

Wir ließen unsere Mütter alleine und gingen spazieren. Es dauerte fast vier Stunden. Sie hatte alles gefragt, was sie wissen wollte. Wir hatten über alles gesprochen, was wir sprechen wollten. Auch wenn es erst der zweite Tag war, ich konnte und wollte nicht mehr warten. Wir hatten die gleichen Lebensvorstellungen. Insbesondere wollten wir nach islamischen Prinzipien nicht nur für diese Welt, sondern auch für die jenseitige Welt heiraten. Ich wusste, dass sie die Richtige ist, also fragte ich sie, ob sie mich heiraten möchte. Als sie tatsächlich einwilligte, empfand ich eine unendlich große Dankbarkeit gegenüber meinem Schöpfer. So sicher ich war, dass ich meine Antwort ja schon in Deutschland bekommen hatte, so sehr hatte ich doch gehofft, diese Antwort auch verbal zu hören. So gingen wir zu unseren Müttern und teilten ihnen unsere Entscheidung mit. Natürlich waren beide ein wenig überrascht. Aber alle Beteiligten waren glücklich.

Meine gesamte Familie in der Türkei wollte die Geschichte erst gar nicht glauben. Sie dachten, wir hätten die ganze Zeit die Bekanntschaft mit meiner Frau verheimlicht. Es war für sie nicht vorstellbar, dass man ohne Zwang freiwillig jemanden heiratet, den man erst zwei Tage bzw. nur sieben Stunden kannte.

Da in der Türkei zunächst “moscheelich“ und dann standesamtlich geheiratet wird, haben wir gleich drei Tage später, am Sonntag, islamisch geheiratet. Innerhalb kürzester Zeit haben wir dann die Papiere zusammengesucht und weitere zehn Tage später standesamtlich geheiratet, so dass wir pünktlich drei Wochen nach meiner Ankunft zusammen nach Deutschland fliegen konnten.

Heute nun, 17 Jahre später, kann ich nicht aufhören, meinem Schöpfer für jeden Tag zu danken, den Er mir mit meiner Frau und unseren inzwischen fünf Kindern geschenkt hat.

Nach Deutschland zurückgekehrt, mussten wir unsere Geschichte immer und immer wieder erzählen. Dabei kam auch heraus, dass meine Frau ihre Freundinnen von früher aus Deutschland, noch bevor ich in die Türkei kam, über mich befragt hatte. Und diese konnten gut Auskunft geben, da sie mich durch unsere Veröffentlichungen und Aktivitäten bei der Islamischen Gemeinschaft in Clausthal kannten. Wohlahnend, dass ich sie um ein Gespräch bitten würde, hatte sie vor unserem ersten Gespräch ein verstecktes Aufnahmegerät bereitgestellt, welches sie dann beim Eintreten in ihr Zimmer aktivierte, so dass wir bis heute einen Mitschnitt der ersten Stunde unseres ersten Gesprächs besitzen.

Wer also denkt, dass mein Bruder Yavuz mit seinen wochenlangen Vorgesprächen “schnell“ geheiratet hat, der kann sehen, dass es eben auch noch “fundamentalistischer“ geht. Aber so viel sei abschließend zum Thema gesagt: Jeder hat seinen eigenen Weg mit Gottes Hilfe die andere Seelenhälfte zu finden. Und sicher ist die Art, wie ich geheiratet habe, nicht “üblich“. Aber im Grunde genommen haben viele Ehepaare wunderbare Geschichten zu erzählen, wenn es um die Zusammenkunft von zwei Seelen geht. Und glückliche und gesunde Familien sind eine Bereicherung für jede Gesellschaft, selbst wenn es Muslime sind!?

All diese Ereignisse meines Bruders Gürhan konnte ich als damaliger Mitarbeiter der Universität Bremen nur aus der Ferne und über Telefon mitverfolgen, aber es war auch so spannend genug.

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