Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

bullet zum Inhaltsverzeichnis

Herzinfarkt eines Professors, ein Gelübde und muslimische Gastwissenschaftler

Am Beispiel eines exemplarischen Einzelschicksals soll im Folgenden zum einen dargelegt werden, wie die spirituelle und materielle Welt für einen Muslim eng verbunden sind, und zum anderen, welche kulturellen, aber auch wirtschaftlichen Chancen Deutschland sang- und klanglos verstreichen lässt, nur weil es keinerlei vernünftige Konzepte für den wissenschaftlichen und kulturellen Dialog mit “fundamentalistischen“ Muslimen gibt, sondern nur ein wirres Feindbild.

Schon seit geraumer Zeit kommen kaum noch Spitzenfachkräfte und Regierungsstipendiaten aus muslimischen Ländern zur Weiterbildung nach Deutschland, da Deutschland sich in den Augen der “Fundamentalisten“ mehr und mehr zu einem muslimfeindlichen Land entwickelt hat; in letzter Zeit zudem auch noch extrem zionistisch orientiert. Der ohnehin bestehende sprachliche Nachteil gegenüber den englischsprachigen Ländern wird somit noch verstärkt durch das Image, welches Deutschland sich im Laufe der Jahre Stück für Stück eingebrockt hat. Länder wie z.B. Kanada oder Neuseeland (bei den englischsprachigen), oder Frankreich, Irland und die skandinavischen Länder (bei den nichtenglischsprachigen), aber selbst das kleine Österreich bei den deutschsprachigen genießen inzwischen unter Muslimen einen erheblich besseren Ruf als Deutschland. Das ist deshalb so erstaunlich, weil dieser Niedergang letztendlich keine 20 Jahre benötigt hat.

Ein Regierungsstipendiat aus beispielsweise dem Iran bedeutet eine absolute Spitzenkraft, die sich in einem extrem schweren Auswahlverfahren durchgesetzt hat. Es bedeutet auch, dass die Person ihre eigene Finanzierung mitbringt, weshalb sie bei deutschen Hochschullehrern sehr beliebt sind!

So ein Spitzeninformatiker war Anfang der 90er Jahre an die Universität Bremen gekommen. Er sollte innerhalb von vier bis fünf Jahren seine Doktorarbeit zusammenschreiben und dann seinem Land dienlich sein. Ein Betreuer war schnell gefunden. So kam er mit seiner Familie (Frau und ein Baby) und lebte vier Jahre lang in extrem bescheidenen Verhältnissen, weil er sehr sparsam mit seinem Stipendium umging und sich vollständig auf seine wissenschaftliche Arbeit konzentrierte. Da aber solch eine Person von sich aus die nächste für ihn geeignete Gemeinde sucht, hatte er schnell auch uns gefunden und nahm an unseren wöchentlichen deutschsprachigen Treffen teil. In diesen Treffen koordinieren wir die Gemeindearbeit und lehren und lernen den Islam. Im wöchentlichen Wechsel muss ein Teilnehmer sich auf ein beliebiges Thema seiner Wahl vorbereiten und es vortragen, und darüber wird dann diskutiert. Da alles in deutscher Sprache erfolgt, fördert es als Nebeneffekt auch die deutschen Sprachkenntnisse aller Beteiligten aus sehr unterschiedlichen Ländern.

Nach ca. fünf Jahren schloss besagter Iraner seine Studien ab und kehrte in seine Heimatstadt Yazd im Iran zurück, wo er heute einer der angesehensten Hochschullehrer mit sehr vielen auch wirtschaftlichen Kontakten ist! Obwohl er gut Deutsch spricht, kann Deutschland aber von diesem Menschen kaum profitieren, da man den Kontakt zu ihm verloren hat und Leute wie mein Bruder und ich in der derzeitigen Lage diesbezüglich keine Initiative mehr zeigen, um solche Kontakte zum Wohl aller Beteiligten wirtschaftlich zu nutzen, da uns dann womöglich ein wild gewordener Innenminister auch noch der Wirtschaftsspionage bezichtigen würde.

Obwohl es bei besagtem Iraner wahrlich keine sprachlichen Hürden gibt, ist aus der Erfahrung der vier Jahre festzustellen, dass auch die hiesige akademische Gesellschaft gegenüber der Kultur der Muslime ziemlich hilflos und unwissend dasteht, denn nahezu alle in diesem Buch angeführten “Missverständnisse“ hat diese Person erlebt, und die betreuenden Instanzen hatten sich vorher kein Stück über die Persönlichkeit ihres Gastwissenschaftlers informiert, sondern waren ausschließlich an seiner wissenschaftlichen Leistung interessiert!

Am Ende seiner Promotion, als er die Arbeit schon abgegeben hatte und nur noch die Gutachten fehlten, erlitt sein Doktorvater einen Herzinfarkt und kam ins Krankenhaus. Neben der menschlichen Tragödie für die Familie des betroffenen Hochschullehrers schien auch die gesamte vierjährige Arbeit des Gastwissenschaftlers am seidenen Faden zu hängen, denn ohne betreuenden Gutachter ist es extrem schwer, solch eine Arbeit in angemessener Zeit abzuschließen, aber sein Stipendium war zeitlich begrenzt. In langen Gesprächen suchten wir nach Chancen und Wegen, während sich der Gesundheitszustand seines Doktorvaters verschlechterte. Damals haben wir diesem Glaubensbruder vorgeschlagen, ein Abkommen mit seinem Schöpfer zu schließen, eine Art Gelübde, bei dem er für die Genesung seines Doktorvaters ein Opfer zu geben bereit war.

Solcherlei Gelübde dienen u.a. dazu, die spirituelle Bindung zu unserem Schöpfer zu festigen und schwere Schicksalsprüfungen besser zu überstehen. Denn selbst, wenn er schlimmstenfalls ohne Doktortitel hätte zurückkehren müssen, hätte er auch darin die Handschrift Gottes erkannt und es als gut für sich empfunden. Wenige Tage später ging es seinem Doktorvater – Gott sei Dank – erheblich besser, und ca. zwei Wochen später durfte er das Krankenhaus wieder verlassen, so dass die Geschichte ein glückliches Ende fand.

Ein weiterer Doktorand an der Universität Bremen war kein Geringerer als der ehemalige Botschafter der Islamischen Republik Iran in Deutschland. Außer seinem Doktorvater wussten das aber nur wenige. Eigentlich hatte er in Deutschland Maschinenbau studiert und wollte schon nach seinem Studium promovieren. Aber er kam nicht dazu, weil sein Land ihn als Botschafter brauchte. So hat er nach seiner Botschaftertätigkeit dieses nachgeholt und ist inzwischen auch Hochschullehrer im Iran. Alle diese Menschen suchten wie selbstverständlich den Kontakt zu Glaubensgeschwistern. Und auch hier bot sich eine Chance zu intensiven wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kontakten, die ungenutzt bleiben. Unsere intensiveren Kontakte waren und sind immer aufrichtiger Art zu aufrichtigen Menschen aller Religionen, aber am meisten zu Muslimen gewesen. Und früher haben wir den Idealismus gehabt, beides – unsere Kontakte und unsere Verwurzelung in Deutschland – zum Vorteil aller erfolgreich miteinander zu verbinden. Aber nach Lektüre dieses Buches wird es uns wohl niemand verübeln, wenn unsere Euphorie diesbezüglich etwas nachgelassen hat.

Bücher zum Thema

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de