Gefangene Straftäter
Als
Verantwortlicher bekannter islamischer deutschsprachiger
Vereine bekamen wir sehr oft Post von Leuten, die wir nicht
kannten; damals war e-Mail noch nicht verbreitet. Einmal
erhielten wir einen sehr lieben Brief eines Strafgefangenen im
Hochsicherheitstrakt von Straubing in Bayern. Es handelte sich
um den Sohn des Besitzers eines der größten Supermarktketten
in Deutschland. Im Gefängnis war er zum Islam konvertiert.
Nach mehreren Briefwechseln bat er einen von uns, ihn
unbedingt zu besuchen. Da er geläutert erschien, wollten wir
diesem Wunsch nachkommen. Nach langer Ankündigung und
genehmigtem Besuchstermin machte ich mich auf den langen Weg
in dieses bayerische Gefängnis. Unterwegs musste ich in Bayern
umsteigen und aufgrund einer damals katastrophalen
Ausschilderung fragte ich einen Passanten höflich: „Entschuldigen
Sie bitte, können Sie mir sagen, wo es zum Bahnsteig nach
Straubing geht?“ Prompt kam die Antwort: „Mei, dagoiohi“.
Offensichtlich reichte mein akzentfreies Hochdeutsch nicht
aus, mich in allen Gebieten Deutschlands ohne Sprachprobleme
zu bewegen, denn erst als er merkte, dass ich ihn nicht
verstanden hatte, versuchte er es ganz langsam und deutlich:
„Da go i och hie“.
Ich schloss mich ihm an. Die Sicherheitskontrollen im
Straubinger Sicherheitstrakt hatten für mich schon etwas sehr
Bedrückendes. Der Gefangene musste noch viel größere
Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Das Gespräch
verlief sehr freundlich und aufrichtig. Er erzählte seine
Lebensgeschichte. Aber mehr als moralisch konnte ich ihm nicht
helfen. Er war schließlich rechtkräftig wegen Totschlages
verurteilt worden. Später schlief der Briefkontakt wieder ein.
Sehr dubios war ein anderer Kontakt, den
wir Ende der 90er Jahre erhielten. Ein Gefangener in
Untersuchungshaft namens Bernhard Falk wandte sich an uns und
wollte von uns Lesematerial zur Verfügung gestellt bekommen.
Seine Mutter zahlte die Bücher, welche wir ihm in
Untersuchungshaft schickten, immer sehr pünktlich. Es stellte
sich heraus, dass es sich um eine Person handelte, der
terroristische Aktivitäten vorgeworfen wurden. Er sollte
Mitglied der “Antiimperialistischen Zellen“ gewesen sein und
mitverantwortlich für eine ganze Reihe von Terroranschlägen.
Einerseits wollten wir mit solchen Leuten nichts zu tun haben.
Andererseits behauptete er, zum Islam konvertiert zu sein, so
dass er uns eine Last der Verantwortung aufbürdete. Er
bezeichnete sich in seinen teils “wirren“ aber romanlangen
Briefen als “ersten politischen muslimischen Gefangenen
Deutschlands“. Allein diese Behauptung erschien uns eher
anmaßend. Er stellte sich als guter Kenner der Islamischen
Revolution heraus, der aber in einigen Detailfragen wiederum
sehr dilettantisch argumentierte. Die gesamte linke Presse
berichtete von ihm, distanzierte sich aber, zumal er sich ein
wenig “laut“ zum Islam bekannte. Er zitierte oft aus einer
iranischen Tageszeitung, und es erschien uns zumindest als
“merkwürdig“ wie leicht er sogar im Gefängnis an Informationen
herankam, für die selbst wir “Freie“ uns anstrengen mussten.
Einmal
kam uns sogar sein Bruder – der sich uns als Pastor vorstellte
– besuchen und stellte massenweise Fragen, die wir ihm alle
beantworteten. Aber alles in allem war die Geschichte
irgendwie “faul“. Wir konnten nicht einschätzen, was an der
Geschichte nicht stimmte, und ob es mit irgendwelchen
verdeckten Operationen zu tun hatte oder mit V-Leuten oder
sogar ausländischen Diensten, aber die Geschichte war sehr
“ungewöhnlich“, denn dieser Gefangene wusste mehr über die
Islamische Revolution als ein neu zum Islam konvertierter
Gefangener darüber wissen konnte, aber hatte nicht den “Geist“
des Islam verinnerlicht.
Nach
fast zwei Jahren und 134 Prozesstagen verurteilte der
Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats ihn und seinen
Mitangeklagten Freund Michael Steinau zu dreizehn
beziehungsweise neun Jahren Gefängnis. Der Richter folgte
damit dem Antrag der Bundesanwaltschaft und erklärte die
beiden Angeklagten verantwortlich für Sprengstoffanschläge auf
die Bundestagsabgeordneten Josef Blank, Paul Breuer und
Volkmer Köhler sowie auf das peruanische Honorarkonsulat in
Düsseldorf. Den Anklagepunkt aufgrund der Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung wies der Richter zurück, da
der Vorwurf nicht überzeugend von der Staatsanwaltschaft
bewiesen werden konnte.
Falk wurde in die
Justizvollzugsanstalt Hanau versetzt und konnte seine
Buchbestellungen und unsere Antwortbriefe jetzt leichter
erhalten als in Untersuchungshaft. Nach dem 11. September
übersandte er uns einmal mehr einen seiner ellenlangen
Ausführungen. Neben zahlreichen Bildern von der Islamischen
Revolution und den für uns heiligen Menschen hatte er dieses
Mal auch kommentarlos ein Bild von USAma bin Laden in seinen
Brief eingeklebt. Endgültig wurde uns klar, dass es sich hier
nicht um einen “normalen“ Gefangenen handelte und er mit der
Islamischen Revolution und unseren Vorbildern absolut nichts
am Hut hatte und die von ihm verfolgten Ziele eher schädlicher
Natur waren. Daher haben wir damals den Kontakt abgebrochen
und nicht mehr auf Seinen Brief geantwortet.
Als das
Vorläuferbuch erschien, in dem sich ebenfalls obiges Kapitel
befand, reagierte er wütend und schickte uns schlimme Briefe,
in denen er dann andeutete, dass die Schia – also die
islamische Richtung, zu der wir uns bekannten – mehr oder
minder Teufelswerk sei, er das erst später erkannt habe und
jetzt sozusagen Sunnit geworden sei. Hatten wir da eine
geheime Operation durchkreuzt? Was wir in diesem Fall nicht
wissen, sollte aber in einem späteren Fall sehr deutlich
werden, und der hing mit dem so genannten Karikaturstreit
zusammen; aber der kommt erst viel später.