Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Gefangene Straftäter

Als Verantwortlicher bekannter islamischer deutschsprachiger Vereine bekamen wir sehr oft Post von Leuten, die wir nicht kannten; damals war e-Mail noch nicht verbreitet. Einmal erhielten wir einen sehr lieben Brief eines Strafgefangenen im Hochsicherheitstrakt von Straubing in Bayern. Es handelte sich um den Sohn des Besitzers eines der größten Supermarktketten in Deutschland. Im Gefängnis war er zum Islam konvertiert. Nach mehreren Briefwechseln bat er einen von uns, ihn unbedingt zu besuchen. Da er geläutert erschien, wollten wir diesem Wunsch nachkommen. Nach langer Ankündigung und genehmigtem Besuchstermin machte ich mich auf den langen Weg in dieses bayerische Gefängnis. Unterwegs musste ich in Bayern umsteigen und aufgrund einer damals katastrophalen Ausschilderung fragte ich einen Passanten höflich: „Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir sagen, wo es zum Bahnsteig nach Straubing geht?“ Prompt kam die Antwort: „Mei, dagoiohi“. Offensichtlich reichte mein akzentfreies Hochdeutsch nicht aus, mich in allen Gebieten Deutschlands ohne Sprachprobleme zu bewegen, denn erst als er merkte, dass ich ihn nicht verstanden hatte, versuchte er es ganz langsam und deutlich: „Da go i och hie“[1]. Ich schloss mich ihm an. Die Sicherheitskontrollen im Straubinger Sicherheitstrakt hatten für mich schon etwas sehr Bedrückendes. Der Gefangene musste noch viel größere Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Das Gespräch verlief sehr freundlich und aufrichtig. Er erzählte seine Lebensgeschichte. Aber mehr als moralisch konnte ich ihm nicht helfen. Er war schließlich rechtkräftig wegen Totschlages verurteilt worden. Später schlief der Briefkontakt wieder ein.

Sehr dubios war ein anderer Kontakt, den wir Ende der 90er Jahre erhielten. Ein Gefangener in Untersuchungshaft namens Bernhard Falk wandte sich an uns und wollte von uns Lesematerial zur Verfügung gestellt bekommen. Seine Mutter zahlte die Bücher, welche wir ihm in Untersuchungshaft schickten, immer sehr pünktlich. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Person handelte, der terroristische Aktivitäten vorgeworfen wurden. Er sollte Mitglied der “Antiimperialistischen Zellen“ gewesen sein und mitverantwortlich für eine ganze Reihe von Terroranschlägen. Einerseits wollten wir mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Andererseits behauptete er, zum Islam konvertiert zu sein, so dass er uns eine Last der Verantwortung aufbürdete. Er bezeichnete sich in seinen teils “wirren“ aber romanlangen Briefen als “ersten politischen muslimischen Gefangenen Deutschlands“. Allein diese Behauptung erschien uns eher anmaßend. Er stellte sich als guter Kenner der Islamischen Revolution heraus, der aber in einigen Detailfragen wiederum sehr dilettantisch argumentierte. Die gesamte linke Presse berichtete von ihm, distanzierte sich aber, zumal er sich ein wenig “laut“ zum Islam bekannte. Er zitierte oft aus einer iranischen Tageszeitung, und es erschien uns zumindest als “merkwürdig“ wie leicht er sogar im Gefängnis an Informationen herankam, für die selbst wir “Freie“ uns anstrengen mussten.

Einmal kam uns sogar sein Bruder – der sich uns als Pastor vorstellte – besuchen und stellte massenweise Fragen, die wir ihm alle beantworteten. Aber alles in allem war die Geschichte irgendwie “faul“. Wir konnten nicht einschätzen, was an der Geschichte nicht stimmte, und ob es mit irgendwelchen verdeckten Operationen zu tun hatte oder mit V-Leuten oder sogar ausländischen Diensten, aber die Geschichte war sehr “ungewöhnlich“, denn dieser Gefangene wusste mehr über die Islamische Revolution als ein neu zum Islam konvertierter Gefangener darüber wissen konnte, aber hatte nicht den “Geist“ des Islam verinnerlicht.

Nach fast zwei Jahren und 134 Prozesstagen verurteilte der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats ihn und seinen Mitangeklagten Freund Michael Steinau zu dreizehn beziehungsweise neun Jahren Gefängnis. Der Richter folgte damit dem Antrag der Bundesanwaltschaft und erklärte die beiden Angeklagten verantwortlich für Sprengstoffanschläge auf die Bundestagsabgeordneten Josef Blank, Paul Breuer und Volkmer Köhler sowie auf das peruanische Honorarkonsulat in Düsseldorf. Den Anklagepunkt aufgrund der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wies der Richter zurück, da der Vorwurf nicht überzeugend von der Staatsanwaltschaft bewiesen werden konnte.

Falk wurde in die Justizvollzugsanstalt Hanau versetzt und konnte seine Buchbestellungen und unsere Antwortbriefe jetzt leichter erhalten als in Untersuchungshaft. Nach dem 11. September übersandte er uns einmal mehr einen seiner ellenlangen Ausführungen. Neben zahlreichen Bildern von der Islamischen Revolution und den für uns heiligen Menschen hatte er dieses Mal auch kommentarlos ein Bild von USAma bin Laden in seinen Brief eingeklebt. Endgültig wurde uns klar, dass es sich hier nicht um einen “normalen“ Gefangenen handelte und er mit der Islamischen Revolution und unseren Vorbildern absolut nichts am Hut hatte und die von ihm verfolgten Ziele eher schädlicher Natur waren. Daher haben wir damals den Kontakt abgebrochen und nicht mehr auf Seinen Brief geantwortet.

Als das Vorläuferbuch erschien, in dem sich ebenfalls obiges Kapitel befand, reagierte er wütend und schickte uns schlimme Briefe, in denen er dann andeutete, dass die Schia – also die islamische Richtung, zu der wir uns bekannten – mehr oder minder Teufelswerk sei, er das erst später erkannt habe und jetzt sozusagen Sunnit geworden sei. Hatten wir da eine geheime Operation durchkreuzt? Was wir in diesem Fall nicht wissen, sollte aber in einem späteren Fall sehr deutlich werden, und der hing mit dem so genannten Karikaturstreit zusammen; aber der kommt erst viel später.

[1] Da gehe ich auch hin

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