Verwirrung um einen israelischen Gast
Anfang
der 90er Jahre sollte ein israelischer Professor die
Universität Bremen und auch das Institut, an dem ich
arbeitete, besuchen. Da der Institutsleiter auf Dienstreise
war, wurde der Wunsch an mich herangetragen, den Gast zu
empfangen und idealerweise eine Forschungskooperation zu
initiieren. Gleich in dem Moment, als der Wunsch an mich
herangetragen wurde, war für mich klar, dass ich das mit
meinem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Genauso wenig, wie
ich zu Rassismuszeiten einen weißen Professor aus Südafrika
empfangen hätte, und genauso wenig, wie ich zu Nazizeiten
einen deutschen Hochschullehrer empfangen hätte, wenn ich in
einem anderen Land tätig gewesen wäre, genauso wenig konnte
ich diesen Vertreter eines rassistischen Systems empfangen,
unabhängig davon, wie diese einzelne Person dazu stand, denn
ich kannte ihn ja nicht. Da ich aber gleichzeitig eine
Verpflichtung zur Loyalität gegenüber meinem Arbeitgeber mit
meinem Arbeitsvertrag unterschrieben hatte und so eine
Unterschrift für mich nicht nur rechtlich, sondern auch
religiös bindend ist, musste ich eine Lösung aus dem Dilemma
finden. Daher bat ich den dienstältesten und wissenschaftlich
erfahrensten Mitarbeiter, den Gast an meiner Stelle zu
empfangen. Er war damit einverstanden. Allerdings kam der
israelische Gast aus kurzfristigen terminlichen Gründen dann
überhaupt nicht, und so dachte ich, dass die Angelegenheit
erledigt gewesen wäre, aber ich hatte mich getäuscht. Vier
Arbeitskollegen und Mitarbeiter unseres Instituts beschwerten
sich schriftlich beim Institutsleiter über mich und warfen mir
Antisemitismus vor. Nachdem ich meine Beweggründe für mein
Verhalten geschildert hatte und da ja letztendlich nichts
passiert war, beließ man es bei meiner Schilderung und einer
Ermahnung.
Aber nicht alle Mitarbeiter der
Universität Bremen kamen so glimpflich davon, als sie ihren
Unmut über Israels Verbrechen kundtaten. Ein deutscher
Mitarbeiter wurde aufgefordert, seine private
Internetveröffentlichung aufzulösen – solche Seiten werden
allen Studenten und allen Mitarbeitern von jeder deutschen
Universität zur Verfügung gestellt. Auf studentischen und
privaten Mitarbeiter-Seiten der Universität konnten Meinungen
für und gegen so ziemlich alles geschrieben werden; nur eine
deutliche Kritik gegen Israel durfte eben nicht sein. Noch
schlimmer traf es einen hochqualifizierten Informatiker. Dem
palästinensischstämmigen Deutschen wurde kurz vor Ablauf
seiner Probezeit ein Kooperationsprojekt mit einem Unternehmen
in Haifa vorgelegt, welches er bearbeiten sollte. Als er nur
höflichst darum bat, ein anderes Projekt zu erhalten (er hatte
noch nicht einmal abgelehnt), erhielt er nur wenige Tage vor
Ablauf seiner Probezeit von sechs Monaten seine Kündigung
ausgehändigt. Der Personalrat hat sich nicht einmal bei ihm
erkundigt, ob das Ganze irgendeinen ungewöhnlichen Hintergrund
hat. Damit konnte er auch die von ihm angestrebte Promotion
vergessen, denn welcher Hochschullehrer wird schon einem
Informatiker einen Job anbieten, dem nach einem halben Jahr
gekündigt wurde? Wer sich mit Israel anlegen will, ob im
Kleinen oder Großen, muss einen gefestigten Glauben mitbringen
und die Überzeugung, dass man Unrecht entgegentreten muss,
unabhängig davon, wie groß die Hindernisse und die
persönlichen Einbußen sind, anders wird man das nicht
durchstehen. Dass genau dieser Grundsatz uns selbst einmal
sehr heftig treffen sollte, konnte ich damals noch nicht
erahnen.