Wir berühren keine fremde
Frauen
Wie schon
in den vorherigen Kapiteln angedeutet, stehen wir immer wieder
vor der Situation, dass eine Frau auf uns zugeht und uns von
sich aus die Hand entgegenstreckt, noch bevor wir sie höflich
darauf hinweisen können, dass wir Berührungen des anderen
Geschlechts aus religiösen Gründen ablehnen. Für diese, für
hiesige Verhältnisse ungewöhnliche Situation hat jeder von uns
eine eigene Strategie entwickelt. So lege ich z.B. meine
rechte Hand auf meine Brust auf Herzhöhe und sage meinen
Standartspruch: „Entschuldigen Sie bitte, aber aus
religiösen Gründen darf ich nur meine eigene Frau berühren.“
Diese extrem verkürzte Wiedergabe einer religiösen Regel
stimmt zwar nicht ganz mit den Tatsachen überein, aber für
eine ausführliche Erklärung reicht der kurze Moment der
Begrüßung zumeist nicht aus. Denn es gibt noch eine ganze
Reihe von anderen Frauen, wie z.B. meine Mutter, meine
Schwester, meine Tochter sowie die Schwestern meiner Eltern,
die ich auch berühren darf. Die Strategie meines Bruders ist
ähnlich geartet.
Ich
sage immer: „Entschuldigen Sie bitte, aus religiöser Treue
zu meiner Frau darf ich keine andere junge Frau berühren.“
Wie mein Bruder schon schrieb, ist es meistens aufgrund der
kurzen Zeit unmöglich, vernünftig zu erklären, warum es mir
nicht möglich ist, andere Frauen neben meiner Ehefrau und den
von meinem Bruder genannten Ausnahmen zu berühren. Und
natürlich ist ein hier aufgewachsener Mensch
verständlicherweise zunächst zurückhaltend. Die Tatsache, dass
ich mein Gegenüber als “junge Frau“ bezeichne, schmeichelt
zudem, so dass die sonst zu erwartende kurzzeitige
Verkrampfung gelockert wird. So versuche ich trotz der kurzen
Zeit irgendwie deutlich zu machen, dass dies nichts mit einer
Verachtung der Frau zu tun hat. Im Gegenteil, es ist aus
meiner Sicht sogar eine Achtung der Frau und insbesondere der
besonderen Stellung meiner Ehefrau mir gegenüber. Es ist ein
besonderes von Gott gegebenes Recht meiner Ehefrau mir
gegenüber, dass ich eben nur sie berühre, welches ich nicht
brechen darf.
Wie auch
immer, manchmal ereignet sich in solchen, hunderte Male
wiederholten Ereignissen auch Ungewöhnliches. Einmal kam in
meinem damals noch universitären Berufsleben eine junge
forsche Praktikantin in mein Zimmer und wurde mir vorgestellt.
Normalerweise weisen die vorstellenden Mitarbeiter die Neuen
an meiner Arbeitsstelle auf diesen ungewöhnlichen Menschen
hin, und die beidseitige Verlegenheit bleibt den Beteiligten
erspart. Aber dieses Mal war es nicht so, und die junge
Praktikantin stand vor mir mit ausgestreckter Hand. Ich sagte
meinen Standartspruch, und die Praktikantin schaute mich
offensichtlich stark verwundert an, nahm es hin und ging
wieder zu weiteren Vorstellungen. In der Mittagspause kam sie
mit einem sehr nachdenklichem Gesichtsausdruck in mein Zimmer
– bei uns waren die Türen immer offen, wenn keine
Besprechungen anlagen – und sprach mich an: „Herr Dr.
Özoguz, erlauben Sie mir eine Frage?“ Ich konnte mir zwar
denken, dass es irgend etwas mit dem Handgeben zu tun haben
dürfte, da das schon oft passiert war, aber ihre Frage
übertraf dann doch alle vorherigen Fragen an Originalität.
Nachdem sie sich erneut – dieses Mal per Frage – davon
überzeugt hatte, dass ich keine fremde Frau berühren würde,
fragte sie dann: „Ja aber wie tanzen Sie dann mit andern
Frauen?“. Es stellte sich heraus, dass die Praktikantin
leidenschaftliche Tänzerin war, und sie konnte sich gar nicht
vorstellen, dass ein Mann nicht mit fremden Frauen tanzt.
Auch
ich hatte mein außergewöhnliches Erlebnis. Als ich mit einem
meiner Chefs – als ich bei einem großen Unternehmen tätig war
– bei einer Besprechung mit Industrievertretern war, wurden
wir von der Sekretärin empfangen. Ich entschuldigte mich wie
oben beschrieben. Später dann beim Abschied standen wir in der
Runde mit etwa acht Herren. Da kam die Sekretärin noch mal
dazu und fragte mich: „Sagen Sie, Herr Dr. Özoguz, könnten
Sie mir das mit dem Handgeben noch mal erklären?“ Ich tat
dies, aber natürlich möglichst kurz. Da sagte sie: „Das
find ich ja toll, das werde ich meinem Mann jetzt auch
vorschreiben!“ Alle lachten und wir verabschiedeten uns.
Wie
bereits angedeutet, wurde auch bei einem früheren
Bewerbungsgespräch das Thema “Handgeben“ angesprochen. Einer
meiner möglichen zukünftigen Vorgesetzten hatte sich über mich
informiert und erfahren, dass ich ein “religiöses“ Leben
führe. Nachdem die fachlichen und inhaltlichen Aspekte der
zukünftigen Arbeit abgeklärt waren, fragte mich der
potentielle Chef sinngemäß: „Herr Özoguz, ich habe
erfahren, dass Sie Ihre Religion ernst nehmen, welche
Auswirkungen hat das auf Ihre Berufstätigkeit?“ Da ich
diese Frage schon einige Male gehört hatte und sie daher nicht
überraschend kam, konnte ich ohne zu zögern das antworten, was
ich immer geantwortet hatte: “Meine Religion hat nahezu
keinerlei Auswirkungen auf mein Berufsleben. Mein Beten und
Fasten werden Sie nicht spüren. Das Einzige, was auffallen
wird, ist, dass ich den Frauen nicht die Hand reiche und an
keinen Veranstaltungen teilnehme, bei denen Alkohol gereicht
wird.“ Mein Gegenüber schaute mich ruhig an, dachte einen
kurzen Moment nach und gab mir eine wirklich in jeder Hinsicht
überraschende Antwort, die ich im Wortlaut nicht vergessen
habe: „Prima, dann lassen Sie ja meine Sekretärin in Ruhe,
und Sie müssen selbst wissen, wie Sie Karriere machen wollen.“
Das mit der Sekretärin war eher wohl als Scherz gemeint. Aber
das mit der Karriere hatte schon eher einen tieferen Sinn.
Denn die wohl wichtigsten Gespräche auf der Karriereleiter
werden eben “bei einem Glas Wein“ (oder Bier)
geführt, und da konnte ich ja nun nicht mithalten.
Aber auch mit Muslimen konnte man
diesbezüglich lustige Erlebnisse haben. Meine Frau suchte nach
unserem Umzug nach Delmenhorst einen neuen Augenarzt, und ihre
Wahl fiel auf einen Ägypter. Der wollte ihr die Hand geben,
und es kam zu den bekannten Sprüchen, nur dieses Mal mit
umgekehrten Vorzeichen. Der arabische Arzt fand das
“übertrieben“ und fragte meine Frau nach der Herkunft ihres
Mannes. Als er erfuhr, dass meine Eltern aus der Türkei
kommen, argumentierte er, dass er schließlich die größere
Ahnung hätte, weil er Arabisch verstehen würde.
Wenn die Muslime in den arabischen
Ländern nur einen Bruchteil des islamischen Wissens verstanden
und umgesetzt hätten, dann würden sie nicht allesamt von
Königen und Prinzen in verschiedenen Gewändern regiert werden.
Dass eine Frau aus Deutschland mit Kopftuch Arabistik studiert
haben könnte, auf solch einen Gedanken kam der Mann gar nicht
erst. Er hatte sich später damit abgefunden, dass er ihre Hand
nicht berühren kann.