Wir fliegen aus der 2.
Islamwoche in Bremen
Unter dem
Motto „Nur wer zuhört, kann auch antworten“ sollte im
November 2002 die zweite Islamwoche den Erfolg der ersten
Islamwoche wiederholen. Entsprechend begannen die ersten
Vorbereitungen fast ein Jahr zuvor.
Die muslimischen
Gemeinden zeigten sich von Anfang an begeistert. Wie sehr lag
es ihnen auf der Zunge über den 11. September 2001 zu
sprechen! Wie sehr wollten sie die Unterdrückung und Besatzung
Palästinas angesprochen wissen! Wie sehr dürstete es sie, über
das Unrecht in der Welt zu sprechen. Und da stand ein mutiger
und scheinbar aufrichtiger Bürgermeister vor ihnen, der genau
das ermöglichen wollte. Entsprechend intensiv diskutierten die
beteiligten Muslime untereinander über die Gestaltung der
Woche. Der Islamische Weg e.V. war intensiv an der
Vorbereitung beteiligt und bot – wie es einer der
Organisatoren später gegenüber anderen Beteiligten
bescheinigte – hochinteressante und attraktive Themen sowie
eine „professionelle Organisation“ an.
Doch je näher der
Termin der Islamwoche rückte, desto mehr Abstand nahm der
Bürgermeister von seiner Idee, die Konflikte anzusprechen. Im
Frühjahr 2002 gab es dann den ersten großen Eklat während
einer Sitzung im Rathaus. Als immer deutlicher wurde, dass die
ursprünglich formulierten Ziele der Islamwoche allesamt nicht
mehr berücksichtigt werden, und stattdessen wieder eine
Heile-Welt-Probleme-Verdräng-Woche im Namen des Islam
veranstaltet werden sollte, meldete ich mich zu Wort, äußerte
sehr deutlich meinen Unmut über die veränderte Zielsetzung und
wies auf den Respekt hin, den eine Person wie Jürgen Möllemann
unter Muslimen genoss, nur weil er auch schwierige Wahrheiten
auszusprechen bereit war und kurz vorher in Bremen gesprochen
hatte!
Was dann folgte,
war eine Demonstration von dem, was offensichtlich hiesige
Verantwortungsträger im Umgang mit Muslimen unter “Demokratie“
verstehen. Der Bürgermeister ergriff das Wort in einer
ungewohnten Lautstärke, wies darauf hin, dass er weder
Streitigkeiten noch Antisemitismus wünsche, er nicht naiv sei,
Extremisten von ihm bekämpft werden würden und er – wenn es
sein muss – den gesamten Verfassungsschutz und Polizeiapparat
auf diejenigen ansetzen würde, die andere Ziele verfolgen
würden. Außerdem wolle er keine Brandstifter wie Möllemann in
Bremen haben.
Das saß, die
anwesenden Muslime waren schockiert, und keiner traute sich,
noch etwas zu sagen. Nur ich war nicht bereit, mir den Mund
verbieten zu lassen und wies darauf hin, dass derartige
Drohungen nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beitragen
würden. Keiner der Anwesenden hatte etwas Böses vorgehabt.
Niemand hatte vor gehabt, den Bürgermeister bloßzustellen und
Ungeeignetes in die Islam-Woche einzubauen. Aber diese
“Explosion“ des Bürgermeisters hatte auch dem naivsten Muslim
die Augen geöffnet, dass es hier nicht um sie und ihre
Interessen ging!
Der Schock saß so
tief, dass mich gleich mehrere Vertreter der unterschiedlichen
Gemeinden nach der Veranstaltung anriefen. Obwohl auch ich von
diesem Machtmenschenauftritt empört war, versuchte ich im
Hintergrund die Wogen zu glätten, denn der Schaden des
Missmuts der Muslime gegenüber dem Bürgermeister wäre für alle
Beteiligten eher schädlich gewesen. Auch versuchte ich mich
damals konstruktiv an Bremer Diskussionsgruppen zwischen
Muslimen Christen und Juden zu beteiligen, obwohl mir diese
Veranstaltung zuwider waren: Denn von den Muslimen wurde bei
jeder nur erdenklichen Gelegenheit erwartet, sich von allem
und jedem zu distanzieren, obwohl wir uns nie hinter
Verbrecher gestellt hatten, die den Namen des Islam
missbrauchten, aber die anwesenden Vertreter der jüdischen
Gemeinde wollten sich in keinster Weise öffentlich von den
Völkerrechtsverbrechen Sharons distanzieren! Und diese Art,
die gesprächsbereiten Muslime zu demütigen und über den Tisch
zu ziehen, wurde dann “Dialog“ genannt.
Damals (20.4.2002)
gab es auch eine große Bürgerdemonstration gegen Israel, eine
Demonstration, an der sich fast alle Gesellschaftsschichten
beteiligten. Es war die zahlenmäßig größte Demonstration,
welche Bremen in den letzten Jahren gesehen hatte. Muslime
waren in der absoluten Minderheit! In den Bremer Zeitungen
wurde fast kein Wort berichtetet! Nicht einmal die
umfangreichen Straßensperrungen wurden vorab vermeldet, obwohl
die Demo lange zuvor angekündigt wurde und die Bremer
Lokalpresse sonst jede Verkehrsbeeinträchtigung vermeldet. So
sehr musste das Thema “verdrängt werden“. Die Demonstration
endete vor dem Rathaus.
Demonstration in Bremen gegen Besatzung (2002)
Dort hatte sich
eine Handvoll ausländischer Zionisten mit provokativen
Plakaten direkt unter die Demonstranten gemischt und pöbelten
jeden, der ein vernünftiges Gespräch mit ihnen anfangen
wollte, an. Die Polizei ließ sie gewähren! Daher beschlossen
mein Bruder und ich mit einigen Freunden, uns direkt in die
Nähe dieser Provokateure zu postieren und jeden Hitzkopf auf
der Seite der Demonstranten von den Provokateuren
fernzuhalten, um jegliche Eskalation auszuschließen. Als die
Provokateure merkten, dass wir ihrem Ziel, die friedliche
Demonstration unfriedlich werden zu lassen, keine Chance geben
würden, zogen sie dann, mit einigen Beschimpfungen uns
gegenüber, auch ab. Die Vertreter des Rathauses konnten die
Ereignisse sehr gut aus den oberen Fenstern des Rathauses
beobachten. Dass es fünf Jahre später beim Libanonfeldzug und
sieben Jahre später beim Gaza-Massaker zu noch erheblich
größeren Demonstrationen in Bremen kommen würde, konnte damals
keiner ahnen.
Am 23.8.2003, also
eine Woche nach der FAZ-Veröffentlichung, gab es erneut ein
Treffen im Rathaus. Obwohl wieder fast alle muslimischen
Gruppen vertreten waren, gab es dieses Mal nur einen einzigen
Tagesordnungspunkt. Es ging um den FAZ-Artikel. Bürgermeister
Scherf wandte sich an mich und behauptete, dass die anderen
Muslime mir etwas sagen wollten. Doch keiner traute sich vor.
Der erste, der sich meldete, ein Vertreter einer
mitgliedstarken Organisation, antwortete dem Bürgermeister,
dass die anwesenden Muslime sich untereinender noch nicht
beraten hätten und daher noch nichts sagen könnten. So ging es
einige Minuten hin und her, ohne dass jemand aussprach, was
der Bürgermeister mir nicht selbst sagen wollte. Als sein
persönlicher Referent die Lage erkannte, übernahm er das Wort,
lobte meinen Einsatz für die erste Islamwoche, um dann auf die
Problematik hinzuweisen, welche die Anwesenheit des
Islamischen Weg e.V. und des Muslim-Markt seit dem FAZ-Artikel
bei der Islamwoche bedeuten würde. Schließlich erwarte man den
Bundespräsidenten zur Islamwoche, der unter solchen Umständen
nicht kommen könne. Am Ende wurde mir dann klipp und klar
gesagt: Entweder entfernt die Internetplattform “Muslim-Markt“
ihr Projekt “Palästina-Spezial“ aus dem Internet, oder aber
wir könnten nicht an der Islamwoche teilnehmen. Gönnerhaft
ergänzte der Bürgermeister dann auch, dass es schließlich auch
darum gehe, meine persönliche Existenz zu sichern, da mein
Arbeitsplatz gefährdet sei.
Dieses Mal waren
die allermeisten anwesenden Muslime noch unvorbereiteter und
gleichzeitig schwer getroffen! Jetzt war jedem der Anwesenden
klar, dass es nicht mehr ihre Islamwoche werden würde! Immer
noch warteten Bürgermeister und Referent auf eine zu Hilfe
eilende muslimische Stimme. Aber alle schwiegen. Während der
eine oder andere zaghaft versuchte, den Worten des
Bürgermeisters eine religiöse Komponente zu verleihen, stand
ein älterer und altbekannter deutscher Muslim auf, der
ansonsten nur extrem selten etwas sagt. In einer von ihm
völlig überraschenden und nicht zu erwartenden eindrucksvollen
Rede wies er darauf hin, dass diejenigen, die heute den
Islamischen Weg e.V. fallen lassen, morgen selbst dran seien
würden. Diese Rede beeindruckte die anwesenden Muslime genau
so sehr, wie sie den Bürgermeister traf, da der Redner unter
Muslimen wie Nichtmuslimen hohes Ansehen genoss. Aber die
Entscheidung, dass wir auszuschließen waren, war getroffen,
und es gab kein Zurück mehr. Die anwesenden Muslime waren
ratlos! Um den Schaden einmal mehr zu minimieren, zogen wir
alle Beiträge des Islamischen Weg e.V. von uns aus zurück und
sagten von uns aus jegliche aktive Teilnahme ab. Die Sitzung
im Rathaus wurde geschlossen.
Am Abend klingelte
unser Telefon Sturm. Ein Verein nach dem anderen wollte seine
Teilnahme aus Solidarität mit dem Islamischen Weg e.V. bei der
Islamwoche absagen. Jeden einzelnen Anrufer musste ich davon
überzeugen, dennoch an der Islamwoche teilzunehmen, denn ein
Boykott würde niemanden nützen. Als Beweis unserer
Aufforderung nahm ich selbst an der Eröffnungsveranstaltung in
der größten Moschee Bremens als Gast teil. Der Bundespräsident
hatte aus Termingründen jegliche Teilnahme abgesagt. Und
zwischenzeitlich hatte auch der Koalitionspartner Henning
Scherfs, die mitregierende CDU, einen Boykott gegen die
Islamwoche ausgesprochen, weil die Organisation “Milli Görüs“
indirekt vertreten sei. Nicht die Bremer Muslime, sondern
Teile der Bremer Bürgerschaft boykottierten die Islamwoche.
Monate später
gewährte der Bundespräsident den Bremer Muslimen zusammen mit
dem Bürgermeister eine Audienz, wobei alle Vereine jeweils
kurz zu Wort kommen sollten. Die Redezeit wurde exakt
vorgegeben. Einige Muslime, die auf meine Sprachkenntnisse
bauten, sprachen ihre Reden mit mir ab, und wir übten
akribisch die Betonung und Einhaltung der Zeitvorgabe immer
und immer wieder. Allerdings baten sie mich damals um
Vertraulichkeit.
Was dann beim
Bundespräsidenten passiert ist, macht uns wieder einmal
deutlich, dass es für beide Seiten nützlich sein könnte, durch
einen offenen Dialog die Absichten und Motive des anderen noch
viel besser kennen zu lernen. Während ein vom Bürgermeister
favorisierter Muslim ihn sowohl inhaltlich als auch durch die
völlige Missachtung der Zeitvorgabe nach Strich und Faden beim
Bundespräsidenten blamierte – es war auch den anwesenden
Muslimen äußerst peinlich – ernteten die eingeübten Reden den
Beifall aller Beteiligten.
Es ist uns bis
heute offenbar nicht gelungen, unsere Absicht des absolut
friedlichen und offenen Dialogs zum Nutzen aller für unsere
Gesprächspartner in der Politik attraktiv erscheinen zu
lassen.
Wir sind dankbar zu
sehen, dass die Inhalte, die wir vertreten und die in den
Reden geäußert wurden, von den Amtsträgern aufgegriffen und
als Ansatz für einen Dialog respektiert werden. Auf der
anderen Seite wird uns der Weg zum direkten Dialog durch die
einheitliche, bewusst verfälschte Negativberichterstattung
über die Vereine, bei denen wir mitarbeiten und über unsere
Personen praktisch unmöglich gemacht. Und so ergeht es so
vielen Muslimen in Deutschland heutzutage. Es liegt nahe
einmal darüber nachzudenken, warum ein tatsächlicher
inhaltlicher Dialog medial anscheinend mit aller Macht
verhindert werden soll.