Kann man die europäische Zivilisation exportieren und
übertragen?
Ist die Zivilisation eine Ware, die man aus- und einführen
kann?
Nein! Die Modernisierung ist aber die Summe der modernen
Waren, die man innerhalb mehrerer Jahre in eine andere
Gesellschaft einführen kann. So kann man eine Gesellschaft
innerhalb von einigen Jahren vollständig modernisieren. Genau
so gut kann man einen Menschen innerhalb kürzester Zeit
vollkommen modernisieren – moderner als die Europäer. Ändert
man seine Verbrauchsgewohnheiten, so wird er modern; mehr
verlangt man auch nicht.
So einfach kann man eine Gesellschaft aber nicht
zivilisieren. Zivilisation und Kultur sind keine in Europa
hergestellten Waren, die jeder haben könnte, um zivilisiert zu
sein. Man hat uns aber eingeredet, dass die Zivilisation diese
Dinge mit sich brächte. Wir haben alles, was wir hatten,
aufgegeben – sogar unsere soziale Identität, unsere Moral und
unsere geistigen Werte. Wir wurden in durstende Geschöpfe
verwandelt, die bereit waren, alles aufzusaugen, was die
Europäer ihnen vorsetzten. Das war eben der Modernismus.
Ein Mensch wurde geschaffen bar jeglicher Vergangenheit,
dem seine Geschichte, seine Religion und alles, was seine
Rasse, seine Ahnen geschaffen hatten, fremd war. Ihm sind
seine eigenen menschlichen Eigenschaften fremd. Ein Mensch,
dessen Verbrauchsgewohnheiten zwar verändert worden sind,
dessen Denkweise jedoch nicht nur keine Änderung erfahren hat,
sondern der die alten Gedanken und die Ästhetik und geistigen
Werte der Vergangenheit einbüßte. Nach den Worten von
Jean-Paul Sartre ist aus diesen Gesellschaften der
assimilierte Mensch, d.h. der Pseudo-Denker und –Gebildete
entstanden, nicht aber der Denker und Intellektuelle.
Ein Intellektueller ist derjenige, der seine Gesellschaft
und ihre Probleme kennt, imstande ist, sein eigenes Schicksal
zu bestimmen, weiß welcher Vergangenheit er gehört, welche die
geistigen Werte seiner Gesellschaft sind und der seine eigene
Wahl trifft.
Die Leute hörten mit gespannter Aufmerksamkeit den
Pseudointellektuellen zu. Wer waren diese
Pseudointellektuellen in den nicht-europäischen
Gesellschaften? Sie waren Vermittler zwischen jenen, die eine
Ware anzubieten hatten und denjenigen, die zu Verbrauchern
dieser Ware geworden waren. Vermittler, die die Sprache des
Europäers und die des Volkes verstanden und dem Europäer den
Weg wiesen – „Wegweiser von Kolonialismus und Ausbeutung“.
Daher bildete man einheimische Intellektuelle heran.
Intellektuelle, die es nicht wagen würden, eigene
Entscheidungen zu treffen, die keinen Mut zur Unterscheidung
und Entscheidung hatten, Intellektuelle, die nicht einmal sich
selbst kannten.
So wurden in diesen Gesellschaften Menschen herangebildet,
die als Mensch so heruntergekommen sind, dass sie nicht den
Mut haben zu sagen, ob ihnen ein Getränk schmeckt, ob die
Musik, die sie hören, das Kleid, das sie tragen, ihnen gefällt
oder nicht. Sie sind nicht einmal sie selbst, um eine eigene
Wahl zu treffen. Damit ihnen ein Anzug gefällt, muss man ihnen
sagen, dass ein solcher Anzug gerne getragen wird. Sie trinken
ein scheußliches Zeug – das ihnen nicht schmeckt – um es dem
Europäer nachzumachen, wagen aber nicht zu sagen, dass es
ihnen nicht schmeckt.
Dagegen begegnen wir in Amerika und Europa Menschen, die
keine Jazzmusik mögen und unbefangen protestieren, wenn sie
irgendwo gespielt wird. Im Orient wagt kein einziger Moslem zu
sagen, dass die Jazzmusik nicht gut ist und ihm nicht gefällt;
denn sie haben ihm nicht einmal so viel Menschenwürde
übriggelassen, dass er den Mut hätte, die Farbe seiner
Kleidung zu wählen und den Geschmack seiner Getränke selber zu
bestimmen. Fanon bemerkt dazu: Damit sie die Europäer
nachahmen, müssten den Nicht-Europäern bewiesen werden, dass
sie dem westlichen Menschen in der Persönlichkeit nicht
ebenwürdig sind. Man müsste ihre Geschichte, ihre Literatur, ihre Religion, ihre Kunst herabwürdigen und sie ihnen
entfremden. Und wie wir gesehen haben, haben sie es geschafft.
Sie haben Menschen herangebildet, die zwar ihre eigene Kultur
nicht kennen, sie aber herabwürdigen; die den Islam nicht
kennen, aber abfällig über ihn reden; die ein gewöhnliches
Gedicht nicht ablesen können, aber die Dichter beschimpfen;
die ihre eigene Geschichte nicht verstehen, sie aber
verurteilen. Sie begeistern sich bedingungslos für alles, was
aus Europa kommt.
So wuchs ein Mensch heran, dem seine Religion, seine
Kultur, seine Geschichte und seine Vergangenheit fremd waren
und der sie alle hasste. Nachdem er das glaubte, bestand sein
ganzes Bestreben darin, sich selbst zu verleugnen und mit
allem zu brechen, was ihm zugeschrieben wird. Er wollte unter
allen Umständen dem Menschen gleich sein, der nicht so gering
geschätzt wird; dann könnte er sagen, dass er Gott sei Dank
kein Orientale mehr sei; sondern sich auf europäischer Ebene
modernisiert habe.
Während der Nicht-Europäer froh ist, dass er ein moderner
Mensch geworden ist, lacht dem europäischen Kapitalisten und
Bourgeois das Herz, dass er Verbraucher seiner Waren geworden
ist.