Erklärung des
Dschihad durch Sultan
Mehmed V. vom 11. November 1914
(Quelle: Hagen, G.: Die Türkei im Ersten Weltkrieg.
Flugblätter und Flugschriften in arabischer, persischer und
osmanisch-türkischer Sprache aus einer Sammlung der
Universitätsbibliothek Heidelberg. Eingeleitet, übersetzt und
kommentiert, Frankfurt a. M. 1988, S. 55-58 - hier zu
Korrekturzwecken geringfügig modifiziert)
An mein Heer und meine Flotte
Ich hatte Euch jedoch, angesichts dessen, dass der Krieg
zwischen den Großmächten erklärt wurde, beauftragt, die Waffen
aufzunehmen, um, falls erforderlich, gegen die Feinde, die
nach Gelegenheiten suchen, die Rechte unseres Staates und die
Existenz unseres Reiches, das immer noch Objekt plötzlicher
Übergriffe ist, zu verteidigen. Und während wir in bewaffneter
Neutralität lebten, da beschloss plötzlich die russische
Flotte, die ausgefahren war, um in der Meerenge des Eingangs
zum Schwarzen Meer Minen zu legen, um es für uns zu
blockieren, in einem Überfall einen Teil unserer Flotte, der
mit militärischen Übungen beschäftigt war. Und während von
Russland eine Äußerung der Entschuldigung erwartet wurde für
diesen feindseligen Akt, der dem Völkerrecht zuwiderlief, da
plötzlich brachen es und seine beiden Verbündeten England und
Frankreich zwischen uns und ihnen die diplomatischen
Beziehungen ab, indem sie ihre Botschafter zur Rückkehr in
ihre Länder aufforderten. Und danach überschritten russische
Truppen unsere östlichen Grenzpässe, bombardierte die
englische und französische Flotte die Meerenge der Dardanellen
und englische Schiffe den Hafen Aqaba mit Granaten.
Wegen dieser direkt aufeinander folgenden Taten, die die
Feindschaft eines hassvollen Verräters deutlich erkennen
ließen, wurden wir gezwungen, den
Frieden, den wir seit alters erstrebten, aufzugeben und
die Waffen zu ergreifen, um unsere legitimen Interessen im
Einvernehmen mit den Deutschen, mit Österreich und Ungarn zu
verteidigen. Denn wahrlich, das Reich der Russen hat dem
Besitz unseres Reiches seit drei Jahrhunderten viele Verluste
zugefügt und jedes mal versucht, die Wirkungen des
Wiedererwachens und der Erneuerung, die beide unsere nationale
Stärke und Macht vermehren, bald durch Krieg, bald durch
tausend Arten von Listen zunichte zu machen.
Weder die Russen noch die Engländer noch die Franzosen
haben aufgehört, unserem
Kalifat Übel zu wollen, mit dem Millionen von Muslimen
durch ihre Herzen und ihre
Religion verbunden sind, welche jene Staaten durch eine
ungerechte, tyrannische Politik erfassten, indem es sie
täuschte, während sie unter ihnen seufzen und um Hilfe rufen.
Und ebenso waren sie es, die jedes Missgeschick und Unglück
vorantrieben und förderten, das sich gegen uns richtete. Doch
wir werden durch den mächtigen
Dschihad, an dessen Spitze wir getreten sind, eine
endgültige Grenze errichten gegen die Übergriffe und
Einmischungen, die vorfallen teils gegen die Ehre unseres
Kalifats und teils gegen die Rechte unseres
Sultanats, und sie werden kaum jemals nach diesem Tag
vorfallen!
Die ersten Schläge, die mit Hilfe des erhabenen
Schöpfers und des Beistandes der Heiligkeit des
Prophet (s.) unsere Flotte im Schwarzen Meer, und unsere
tapferen Truppen bei den Dardanellen und dem Hafen Aqaba und
an den Grenzen im Kaukasus auf die Feinde niedergehen ließen,
gaben uns mehr Zuversicht und Sicherheit, dass unser Kampf,
der um
ALLAHs willen geschieht, mit der Krone des Erfolges und
des Sieges gekrönt sein wird. Ebenso gehört zu dem, was diese
Zuversicht bei uns unterstützt, dass die Länder unserer Feinde
und ihre Heere heute zermalmt werden unter den Füßen der Macht
derer, die mit uns einig sind.
Meine tapferen Soldaten: Hütet Euch, und sei es nur einen
Moment, von dem festen Willen und der Festigkeit der Füße und
der Aufopferung um des Kampfes und des gesegneten
Dschihad willen abzuweichen, den wir gegen die Feinde
begonnen haben, die es mit ihrer Feindseligkeit auf unsere
offenkundige Religion und unser heiliges Vaterland abgesehen
haben. Stürzt Euch auf den Feind wie die Löwen, denn die
Existenz und das Leben unseres Reiches sowie die Existenz von
300 Millionen
Muslimen, die wir zum mächtigen
Dschihad durch die erhabenen Rechtsgutachten aufgerufen
haben, ist verknüpft mit Eurem Sieg: Die Gebete aus den Herzen
von 300 Millionen unterdrückten
Muslimen, flehend an den Herrn der Herrn gerichtet in
ganzer Leidenschaft und Vertiefung in den allgemeinen
Moscheen und
Moscheen für das
Freitagsgebet und in dem verehrten
Hause
ALLAHs, sind alle mit Euch, wo immer Ihr seid.
Soldaten, meine Söhne: Die Pflicht, die zu erfüllen Euch
heute auferlegt worden ist, gehörte bis jetzt noch nicht zum
Los eines Heeres der Welt. Indem Ihr eilt, diese Pflicht zu
erfüllen, macht deutlich, dass ihr die besten Nachfolger der
osmanischen Heere seid, die die Welt durch ihre Macht häufig
zittern machten in Zeiten, die Ihr die Welt sicher macht,
damit der Feind der Religion und des Reiches sich nicht
erkühne, in unser Gebiet einzudringen, noch die Ruhe des
gesegneten Landes des
Hidschaz zu stören, das die hocherhabene
Kaaba
ALLAHs und das edle Grabstätte des
Propheten umfasst. Macht es den Feinden deutlich in einer
Weise, die Wirkung und Eindruck macht und sie lehrt, dass
heute ein
osmanisches Heer und eine
osmanische Flotte, die ihre Religion, ihr Vaterland und
ihre soldatische Ehre mit ihren Waffen und mit Todesverachtung
um des
Sultans willen zu verteidigen weiß, existieren und nicht
verschwunden sind.
Und da das Recht und die
Gerechtigkeit mit uns, Unrecht und Feindschaft mit unseren
Feinden sind, so ist kein Zweifel, dass die göttliche
Vorsehung die Hilfe der Heiligkeit und moralischen Kraft
Seiner Hoheit des herrlichen und edlen
Propheten uns bei der Vernichtung unserer Feinde
Unterstützer und Helfer sein werden. Und ich bin sicher, dass
wir diesen
Dschihad beenden werden als ein Reich von Ansehen und
Macht, das die Schäden seiner Vorgänger wettgemacht hat. Und
vergesst nicht, dass Ihr im heutigen Krieg beim Aufnehmen der
Waffen Kameraden jener beiden Heere seid, mit denen wir
gemeinsam kämpfen und die die mutigsten, prächtigsten und
mächtigsten Heere der Welt sind. Es sollen die
Märtyrer von Euch die frohe Botschaft des Sieges zu den
früheren
Märtyrern bringen, und möge der Kampf derer von Euch, die
am Leben bleiben, gesegnet und ihr Schwert scharf sein!
Mehmed
Reschad, den 11. 11. 1914