Gedichte im Islam
Wo?

von Muhammad Schams ad-Din (Hafiz) aus seinen Ghaselen, übersetzt von Friedrich von Bodenstedt 1877

Wo blieb ich nur in meinem Rausche
mit Eurer Tugendpflege? wo?
Wo komm' ich aus dem Labyrinthe
nun zu dem rechten Wege? Wo?

Was hat in mir der Feuertaumel
des Weins zu tun mit Gottesfurcht?
Wo schallt zugleich das Wort des Pred'gers
und Sang im Luftgehege? Wo?

Mein Herz flieht Klosterzwang und Kutte
und alle fromme Gleißnerei,
Wo find' ich Raum und Wein, zu stillen
den Drang, der in mir rege? Wo?

Die Tage des Genusses schwandenm
Doch blieb mir die Erinnerung, -
Wie ist die Zeit des Kosens, Schmollens,
und süßer Händchen Schläge? Wo?

Was kann dem Herzen eines Feindes
ein freundlich schönes Antlitz sein?
Wo sind nun die erlosch'nen Lichter,
Die sonnigen Liebeswege? Wo?

Da schon der Staub von Deiner Schwelle
mir Balsam für die Augen schien:
Wo find' ich scheidend eine Stätte,
die mich so hold bewege? Wo?

Sieh weg vom Apfel ihres Kinnes,
ein Liebesbrunnen droht darin,
Wohin nun eilst Du, Herz? Wo hoffst Du
dass sich Dein Stürmen lege? Wo?

Geduld und Ruhe, Freund, erwarte
von Deinem Hafis nimmermehr,
Wo fänd' er je Geduld und Ruhe,
dass er des Schlummers pflege? Wo?

 

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