Gedichte im Islam
Der Mann mit einem Arme

von
Friedrich Rückert

Peros hat dem jüngern Bruder Hormus,
Dem der Vater selber, als dem bessern
Seiner Söhne, Reich und Thron gelassen,
Beides wieder mit Gewalt genommen
Unter Beistand seines Nachbarfürsten
Ehoschnawas. Der hoffte, dass sich dankbar
Peros würd’ erzeigen für die Hülfe.
Aber Peros, seines Reiches mächtig,
Brach sogleich mit großer Heeresmacht auf
Gegen Ehoschnawas; der sich zu schützen
Gegen den verräterischen Schützling
Auf der Stelle nicht vermag. Als alle
Tapfern Männer seines Heers verzagten,
Stellte sich ihm einer dar mit einem
Arm, der andre war im Kampf verloren,
Und verhieß, ließ’ ihn der Fürst gewähren,
Ihm mit einem Arme das zu leisten,
Was mit beiden andre nicht vermöchten.
Und er hielt sein Wort; er ging zum Feinde,
Den er täuschte: so hat mich verstümmelt
Ehoschnawas , weil ich ihm angeraten
Unterwerfung gegen dich. Er dachte,
Mit dem einen mir gebliebenen Arme
Könnt’ ich mich nicht rächen; aber, willst du,
Will ich einen Weg zu ihm dich führen,
Ihn zu überraschen mit Verderben.
Peros und das Heer der Seinen folgte
Ihrem Führer mit dem einen Arme;
Und durch eine wasserlose Wüste
Führt’ er sie, wo sie im Sonnenbrande
Und im Durst verschmachteten, und Arme
Sie zu fällen gar nicht nötig waren,
Außer ihres Führers einem Arme.
Lange ward von ihm nachher im Lande
Dieses Lied zu seinem Preis gesungen:
Was zu tun nicht tausend sind im Stande,
Ist dem Mann mit einem Arme wohlbedächtig
Hilft, wo Macht mit beiden ist unmächtig.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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