Gedichte im Islam
Die Übersetzung

von
Friedrich Rückert

Dem Chalifen Mamun (man erzählt’s) erschien
Eine schöne Frau im Traum,
Von so herrlicher Gestalt, es dünkte ihn,
Schönre sah er nie im Raum.

Ganz in hoher Liebe war das Herz entbrannt
Des Chalifen gegen sie,
Und er fragte: Sag mir, wie du bist genannt?
„Griechische Philosophie.“

Und von wannen stammt die Schönheit, die dich Schmückt?
„Aus der Schönheit der Vernunft.“
Mamun, als er von dem Traum erwacht entzückt,
Rief der Hofgelehrten Zunft.

Seinen Traum erzähl’ er ihnen alzugleich:
Bietet auf nun eure Kraft,
Dass ihr mir herüber aus dem Griechenreich
Diese Himmelsschöne schafft!

Manche Botschaft ward gesendet, und zuletzt
Gab der griech’sche Kaiserhof
Alte Bücher, und arabisch übersetzt
Ward manch griech’scher Philosoph.

In der Übersetzung aber ward vom Glanz
Viel verwischet dort und hie:
Dem Chalifen schien kein Philosoph so ganz
Schön wie die Philosophie.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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