Gedichte im Islam
Hedschadsch und der Araber
Über Haddschadsch ibn Yusuf

von
Friedrich Rückert

Haddschadsch ibn Yusuf war ein bedeutender Statthalter der Umayyaden im Irak (694-714 n.Chr.) und einer der brutalsten Gouverneure von Kufa. Nach seiner blutigen Eroberung von Mekka wurde er 694 n.Chr. zum Statthalter im Irak ernannt. Später wurde ihm auch die Verwaltung der iranischen Reichsgebiete übertragen. Haddschadsch wütete gegen jeden, der in Opposition zu der Gewaltherrschaft der Umayyaden stand und leitete auch Angriffskriege gegen Nachbarländer ein. Rückert baut die Verachtung, welche das Volk gegen jenen Regenten empfand in eine Geschichte eines Kamelhirten ein, der ihm zufällig begegnet und ihn nicht erkennt.

Hedschadsch auf der Jagd, von allen
Jagdgenossen abgetrennt,
Irrt verschlagen in der Wüste,
Wo er nicht die Pfade kennt.
Eine Herde von Kamelen
Sieht er weiden dort von fern,
Und dabei als Hirten sitzen
Einen von den Arabern.
Der, versunken in Gedanken,
Merket nicht des Gastes Nah’n,
Aber die Kamele wurden
Scheu, als sie den Fremden sah’n.
Da erhebt sein Haupt der Hirte,
Und mit einem rauen Gruß
Grüßt er jenen, den viel anders,
Wer ihn kennt, begrüßen muss:
Wer in seinen schönen Kleidern
Ist der Gottverlassne, der,
Meine Tiere scheu zu machen,
Kommt in meine Wüste her? –
Heut in seiner guten Laune
Störten das den Grimm’gen nicht,
Der den ungeschliffnen Hirten
Freundlich grüßte, und bittend spricht:
Schöpfe doch mir einen frischen
Wassertrunk aus deinem Quell!
Jener spricht: Bin ich dein Diener,
Oder bin ich dein Gesell?
Willst du trinken, bück dich selber! –
Durstig bückt er sich zum Rand,
Und das Wasser schöpfte der stolze
Mit der ungewohnten Hand.
Zwiesprach’ will er nun beginnen:
Was in deiner Einsamkeit
Hattest du hier nachzudenken? –
„Was sonst als die böse Zeit?“
Und was ist der Gipfel dieser
Bösen Zeit, mein Wüstensohn?
„Ohne Zweifel der Chalife
In Damask auf seinem Thron.“
Und was ist das allerschlimmste
Dass er dir hat zugewandt?
Daß er uns den Blutvergießer
Hedschadsch übern Hals gesandt.“
Ist der Hedschadsch so abscheulich?
„So abscheulich, wie man spricht,
Als, zum Trotz von allen deinen
Schönen Kleidern, dein Gesicht.
Nicht umsonst hat, wie sie sagen,
Selber als sie ihn gebar,
Sich vor ihm entsetzt die Mutter,
Weil er gar so hässlich war.
Und er nahm wie andre Kinder
Auch der Mutter Brust nicht an,
Bis ihr ein unheimlich Mittel
Ward im Träume kundgetan.
Mit Kamelblut strich am andern
Tage sie den Mund ihm an,
Und mit Bocksblut an dem dritten,
Erst am vierten sog er dann.
So erwuchs, es ist nicht schwierig,
Seiner Eigenschaften Stock;
Denn wie ein Kamel rachgierig,
Stößig ist er wie ein Bock. –“
Hedschadsch aber scheinet huldig
Statt des Bocks ein Lamm zu sein,
Und wie ein Kamel geduldig
Nimmt er hin die Schmeichelei’n.
Doch der Araber verstummte
Plötzlich, und wie horchend bog
Er sein Haupt nach einem Vogel,
Der mit Schrei vorüber flog.
Dann, der Fremden scharf anblickend,
Fragt er ihn: Wer bist du, Mann?
Hedschadsch lächelte: Was fragst du?
Sagt der Vogel dir was an?
Freilich, im Vorüberfliegen
Sagt er mir mit eignem Schrei,
Dass nicht weit von hier ein ganzer
Trupp von fremden Leuten sei.
Und du bist vielleicht ihr Führer.
Nun, was im Vertrauen ich
Sprach vom Hedschadsch, keinem andern
Sagst du’s weiter, das versprich!“
Das hat Hedschadsch kaum versprochen,
Als sein Jagdgefolg’ erschien;
Und dem Araber befiehlt er
Mit ihm in die Stadt zu zieh’n.
In der Stadt, in seinem Schlosse,
Rüstet er ein leckres Mahl,
Und dem Wüstensohne glänzet
Der begier’gen Augen Strahl.
Doch erst faltet er die Hände,
Und spricht ein Gebet dabei:
Gebe Gott, dass gut das Ende
Wie der Mahlzeit Anfang sei!
Und zu gutem Schluss der Mahlzeit,
Die des Gastes Herz geschwellt,
Spricht der Wirt: Die beiden Wege
Sind dir nun zur Wahl gestellt:
Willst du als mein Diener bleiben
Bei mir selber, oder sprich.
Soll ich nach Damask als Diener
Des Chalifen senden dich?
Doch er spricht: Es gibt von beiden
Einen schönen Mittelweg:
Lass du mich, mein Vieh zu weiden,
In mein freies Weidgeheg’!
Und ich treibe meine Herden
Etwas tiefer wüsten-ein,
Wo wir nie mehr sehn uns werden,
Das wird uns das Beste sein.

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

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