Kabil und Habil sind die arabischen Namen für
Kain und Abel. Sie symbolisieren als die Kinder Adams und Evas
das Gute und das Böse, welches beide im Menschen schlummert.
Ihre Geschichte ist im Heiligen Qur´an in der Sure 5 (der
Tisch) 27-32 dargelegt.
„Und verlies ihnen den Bericht über die zwei
Söhne Adams der Wahrheit entsprechend. Als sie ein Opfer
darbrachten. Es wurde von dem einen angenommen und von dem
anderen nicht angenommen. Der sagte: ‚Ich schlage dich tot.“
Er sagte: „Allah nimmt es nur von den Gottesehrfürchtigen an.
Auch wenn du deine Hand nach mir ausstreckst, um mich zu
töten, so werde ich meine Hand nicht nach dir ausstrecken, um
dich zu töten. Ich fürchte Allah, den Herrn der Welten. Ich
will dann, dass du meine Sünde und deine Sünde auf dich lädst
und so zu den Leuten des Feuers gehörst. Das ist die
Vergeltung für die, die Unrecht tun.’ Seine Seele trieb ihn
dazu, seinen Bruder zu töten. Er tötete ihn und wurde der
Verlierer einer. Allah schickte einen Raben, der in der Erde
scharrte, um ihm zu zeigen, wie er die Leiche seines Bruders
bedecken könne. Er sagte: ‚Wehe mir! Bin ich nicht fähig, wie
dieser Rabe zu sein und die Leiche meines Bruders zu
bedecken?’ So wurde er einer von denen, die bereuen.“
Die Geschichte endet im Heiligen Qur'an mit
dem islamischen Grundsatz, dass der jemanden tötet, so ist,
als hätte er die gesamte Menschheit getötet, und derjenige,
der ein Leben rettet, so ist, als hätte er die gesamte
Menschheit gerettet. Rückert konzentriert sich bei seinem
Gedicht auf die Tatsache, dass das Böse vom Raben stamme. Die
Zuweisung eines bösen Geistes an den Raben, wie es Rückert
ursprünglich tut, entspricht allerdings nicht der islamischen
Vorstellung. Auch wird die Reue Kabils in dem Gedicht nicht
berücksichtigt. Das lange Gedicht wird hier daher nur verkürzt
wiedergegeben:
Friedlich lebten ohne Fehden
Mensch und Tier im Garten Eden.
Als sie waren d’raus vertrieben,
War die Eintracht noch geblieben;
Der Verbannung Roth und Plagen
Half das Tier dem Menschen tragen.
Schafe gaben ihre Wolle,
Dass er nackt nicht frieren solle,
Und das Rind geduldig trug
Für sein Brot das Joch im Pflug.
Doch das Leid kam halb genug.
Als mit Bruder Bruder grollte,
Kabil Habil morden wollte,
Blieb´ vom Grimm, hier angeschürt;
...
Und als er des Bruders Schlaf
Mit der scharfen Waffe traf,
Sank er hin in Todesschlaf.
...
Er begann den Tod zu schmecken
In des Bruders Tod mit Schrecken.
Mit der Reue grins’t die Sünde
So ihn an, dass in die Schlünde
Er des Abgrunds, in die Gründe
Möchte sich des Meers verstecken,
Sich dem Anblick zu verdecken.
Doch die Sünde zu begraben
Lernt’ er auch von jenem Raben,
Der nicht lange still verharrte,
Und in’s Loch den Bruder grub,
Munter dann hinweg sich hub.
Kabil bracht’ auch Habil’n unter,
Doch hinweg ging er nicht munter,
Unstet ohne Rast und Ruh’.
„Mörder, Brudermörder du!“
Riefen Berg und Thal ihm zu...
von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837