Gedichte im Islam
Der Mann, der sich tätowieren lassen wollte

von Dschalaleddin Rumi

Hör die Geschichte vom Erzähler an:
Wie in Kazwin die Leute sich benehmen!
Sie tätowieren sich in dunkelblau
mit einer Nadel Hand und Leib und Fuß.
Ein Mann, der aus Kazwin, ging hin zum Meister:
«Du tätowiere mich ganz elegant!»
Der fragte: «Welch Motiv willst du. o Herr?..
«Nun, einen Löwen wild im Angriffssprung.
Mein Aszendent ist Leo - zeichne einen!
Pass auf und mach ihn richtig dunkelblau!»
Er fragte: «Und wohin soll dieses Bild?»
Er sprach: «Aufs Schulterblatt soll das Idol!»

Als er begann, mit Nadeln ihn zu ritzen,
spürt' heftig er den Stich der Nadelspitzen.
Der Meld schrie klagend: «Ei, was machst du da?
Du bringst mich um! Welch Bild ritzt du denn da?»
«Du hattest doch 'nen Löwen dir bestellt!»
Er sprach: «Bei welchem Glied hast du begonnen?»
«Ich hab' », sprach er, «beim Schwänze angefangen.»
Der Her: «So lass den Schwanz doch weg mein Bester!
Vom Schwanz des Löwen stockte mir der Atem;
Sein Schwanz hat mir den Atem ganz verschlagen:
Lass ohne Schwanz ihn, o du Löwenmaler,
der Nadel Stich lässt mir das Herz bald stehen!»

So fing der Mann an, anderswo zu ritzen,
erbarmungslos und ohne Rücksicht tat er's.
Der andre schrie: «Was für ein Glied ist das?»
Er sprach: «Mein lieber Mann, das ist das Ohr!»
Der sagte: «Wenn er nun kein Ohr besitzt -
lass doch das Ohr, das du da grade ritzt!»
So fing er noch an andrer Stelle an,
und wieder hub der Mann zu schreien an.
«Was ist denn dieses dritte, welches Glied?»
«Das ist des Löwen Bauch, mein edler Herr!»
Er sprach: «Der Löwe braucht doch keinen Bauch,
Wozu ein Bauch für so ein Löwenbild?»

Der Künstler wurde schließlich ganz verwirrt
und biss verwundert auf den Finger sich.
Er warf die Nadel auf den Boden rasch
und sprach: «Wem ist denn sowas schon passiert?
Wer sah schon Löwen ohne Schwanz, Ohr, Bauch!
Seihst Gott hat so ein Tier noch nie erschallen!
Gedulde dich, mein Bruder, bei dem Stich.
dass du besiegest deine Heiden-Seele!»

Vor solchen, die der Existenz entkamen,
beugt sich der Himmel, neigt sich Mond und Sonne.
In wessen Leib der Feind «Triebseele., starb,
dem sind gehorsam Wolken so wie Sonne,
und lernt sein Herz die Kerze zu entzünden,
kann ihn die Sonnenglut nicht mehr verwunden...
Der Dorn wird, wie die Rose, ganz zu Huld,
das Teilchen wendet sich zurück zum Ganzen.

Was ist es, Gottes Größe zu erkennen:
Sich selbst ganz schwach und niedrig nur zu nennen.
Was ist es, wahre Einheit zu bekennen?
Sich selber vordem Einen zu verbrennen.

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