Gedichte im Islam
Der gefangene Falke

von Dschalaleddin Rumi

 

Wenn du einen weißen Falken einem alten Weibe gibst,
schneidet sie ihm seine Klauen, weil sie denkt, das tat' ihm gut.
Jene Klauen, die der Grund sind für sein Werk und seine Jagd,
schneidet dieses blinde Weiblein blindlings ab und fragt ihn dann:
«Sag mal, wo war deine Mutter, dass so lang die Nägel wuchsen?»
So beschneidet sie die Klauen, Schnabel und die Federn auch -
ach, die dreckige, die Alte, meinte es ja wirklich gut!;
Kochte sie ihm Nudelsuppe, doch er aß ganz wenig nur,
und da wurde sie sehr zornig, dachte nicht an Freundlichkeit:
«Hab' ich dir doch eine solche Speise liebevoll gekocht,
und du tust so stolz und mächtig und verschmähst das Essen nun!
Du verdientest wirklich Strafe, Plage und Heimsuchung hart -
denn man kann mit bestem Willen dir ja garnichts Gutes tun!»
Dann gibt sie ihm noch die Brühe: «Los, nun komm und trinke jetzt,
Wenn du schon die feinen Nudeln überhaupt nicht essen willst!»
Doch der Falk mag keine Brühe, denn er ist sie nicht gewohnt,
und das alte Weib wird wütend, und ihr Ärger wächst und wächst,
Schließlich gießt die kochend heiße Brühe sie ihm übern Kopf -
Ach, da fallen alle Federn ihm vom Haupt, er wird ganz kahl,
und aus seinen Augen tropfen Tränen ihm aus heißem Schmerz,
und er denkt jetzt an die Güte die sein König ihm erzeigt'....
Doch dann sagt der Falke: «Wenn auch diese Alte mich versehrt,
hat sie doch mein Licht, mein Wissen, die Geduld mir nicht verzehrt.
Denn mein Falke, meine Seele, webt sich hundert Formen licht, -
denn der Schlag trifft die Kamelin, doch verwundet Salih nicht.»

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